NJW-Editorial

Überflüssiges im Tatbestand
NJW-Editorial

Gemäß § 313 II ZPO sollen im Tatbestand die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden. Dies gelingt in zivilgerichtlichen Urteilen oft, aber nicht immer – typisch sind „kopflastige“ Entscheidungen, in denen der Tatbestand deutlich länger ist als die Gründe. Erforderlich ist dies schon von Gesetzes wegen nicht.

3. Jul 2025

Manche Formulierungen im Tatbestand sind nicht nur überflüssig, sondern befremdlich. Das AG Brandenburg
(Urt. v. 27.3.​2025 – 30 C 99/23, BeckRS 2025, 5289) ist etwa der Auffassung, dass die Deckung der Abwehr einer Räumungsklage wegen Eigenbedarfs durch eine Rechtsschutzversicherung zugunsten der Mieterin zum „wesentlichen Inhalt“ gehört. Anders lässt sich nicht erklären, dass sich im Tatbestand wiederholt Formulierungen finden wie: „Die rechtsschutzversicherte Beklagte“ (der Tatbestand beginnt sogar so). Notwendig sind diese mehrfachen Hinweise indes nicht, erst recht nicht für die Entscheidungsfindung in einer Räumungsklage. Sofern die dauernde Feststellung der offenbar vorhandenen Rechtsschutzversicherung implizieren soll, dass die Mieterseite sich deshalb gegen die Räumungsklage – gestützt auf eine Eigenbedarfskündigung – gewehrt habe, weil man durch die Versicherung finanziell abgesichert sei und so kein Kostenrisiko habe, bleibt zu hoffen, dass dieser Gedanke bei der Entscheidungsfindung keine Rolle gespielt hat

Die starke Betonung lässt in diesem Fall aber besorgen, dass das Gericht den Umstand der Deckung durch die Rechtsschutzversicherung zu Lasten der beklagten Mieter gewürdigt hat – was, man muss es nicht betonen, unzulässig gewesen wäre. Sieht man das im Übrigen umfangreich begründete Urteil weiter durch und gelangt man zu den Härtegründen im Sinne des § 574 BGB sowie der dort von der Mieterin vorgetragenen Suizidgefahr bei Auszug, so gibt es für diese Besorgnis weitere Gründe. Das Amtsgericht holte – entgegen der Linie des VIII. Zivilsenats des BGH – kein Sachverständigengutachten ein, sondern vernahm die die Mieter behandelnden Ärzte. Die Quintessenz: „Auch ist wohl ein tatsächlicher Suizid der Beklagten/Mieterin hier zwar nicht völlig auszuschließen, aber wohl auch nicht erhöht wahrscheinlich“ irritiert dann um so mehr, als bei Suizidgefahr eine umfassende Aufklärung erforderlich ist. Hierzu (!) hätte man dann also in den Entscheidungsgründen gerne mehr gelesen. Mithin: Überflüssiges sollte im Tatbestand nichts verloren haben – erst recht nicht Dinge, die auf eine Voreingenommenheit des Gerichts hindeuten. 

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Rechtsanwalt Dr. Michael Selk ist Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Bau- und Architektenrecht sowie Strafrecht in Hamburg.