NJW-Editorial

Innovatives Verbraucherprivatrecht
NJW-Editorial

Eher en passant hat man vor gut zwanzig Jahren die verbraucherprivatrechtlichen Nebengesetze in das BGB integriert. Die großen Diskussionen der Schuldrechts­modernisierung betrafen andere Themen, der Einzug des Verbraucherkreditrechts, des Fernabsatzrechts und anderer Normen erfolgte recht geräuschlos, sieht man von ein paar Stimmen ab, die das Kulturdenkmal BGB durch die Einflüsse aus Brüssel gefährdet sahen.

20. Jun 2025

Betrachtet man die gegenwärtige Bedeutung des Verbraucherprivatrechts, wird man konstatieren können, dass die damalige kodifikatorische Entscheidung dem Rechtsgebiet Schub verliehen hat. Während solche Normen in ­anderen europäischen Staaten in separaten Gesetzbüchern zu finden sind und von der allgemeinen Zivilrechtswissenschaft mehr oder weniger getrost ignoriert werden können, kommt in Deutschland seit 2002 kein BGB-Kommentar mehr daran vorbei, die Vorschriften zu erläutern, werden die Probleme des Widerrufsrechts und die Besonder­heiten des Verbrauchs­güterkaufs selbstverständlich im Grundkurs behandelt und im Examen geprüft. Auch die Praxis geht seit der Integration der Regelungen in das BGB selbstverständlicher mit dem Verbraucherprivatrecht um.

Die größere Aufmerksamkeit, die dem Verbraucherprivatrecht neuerdings zuteil wird, verdankt sich aber längst nicht nur seiner Integration in die Kernkodifikation. Sie ist nicht minder seinen oft innovativen Inhalten geschuldet, die typischerweise ein europäischer Gesetzgeber vorgibt, der häufig schneller und entschiedener auf eine gewandelte, etwa zunehmend digitale und von Datentransfers gekennzeichnete Verbraucherwelt rea­giert als die Mitgliedstaaten. Als paradigmatisch sei die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen hervorgehoben. Der europäische Ansatz, den Digitalvertrag unab­hängig von der überkommenen Vertragstypologie zu regeln, zwang auch den deutschen Umsetzungsgesetzgeber zum grundlegenden Nachdenken darüber, ob die Orientierung an bestimmten Vertragstypen im Besonderen Schuldrecht noch zeitgemäß ist. Die ­Dominanz des Kaufrechts ist längst im Wanken, weil Konsumbedürfnisse zunehmend durch den Abschluss von Dauerverträgen über die Verschaffung von Nutzungsmöglichkeiten und Zugangsgewährung befriedigt werden. Dem deutschen Zivilrecht fehlt aber bislang eine allgemeine Dogmatik des Dauerschuldverhältnisses. Zu ­ihrer Entwicklung beizutragen, ist eine Herausforderung der Verbraucherrechtswissenschaft.

Im wunderschönen Berliner Harnack-Haus hat sich im Mai die Wissenschaftliche Vereinigung für Verbraucherrecht (WVV) gegründet. Ihr Ziel ist nicht nur ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch zum Verbraucherprivatrecht. Getragen ist die Vereinigung auch von dem Anspruch, turbulenten politischen Zeiten zum Trotz die Zivilrechtswissenschaft in offenen Diskursen in die Gesellschaft zu kommunizieren. Verbraucherprivatrechtliche Forschung hat gesellschaftliche Relevanz und trägt Verantwortung.

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Prof. Dr. Markus Artz, Universität Bielefeld, ist einer der Initiatoren der WVV.