NJW-Editorial

(A)soziale Medien
NJW-Editorial
Foto: Till Brönner

Mehr als 65 Millionen Menschen in Deutschland nutzen soziale Medien – als Nachrichtenquelle, zur Selbstdarstellung und oft genug als Freifahrtschein für all das, was sie auf offener Straße nicht zu sagen wagen. Die Reichweite manches Posts übertrifft selbst die der auflagenstärksten Zeitungen um ein Vielfaches. Wer heute diskutiert, demonstriert oder diffamiert, der tut es online. Wahlen werden heute (auch) auf Social Media gewonnen. 

30. Mai 2025

Die AfD etwa ist auf TikTok, der bei den Jüngsten besonders populären Plattform, doppelt so erfolgreich wie alle anderen Parteien zusammen. Umso bedenklicher erscheint die von der neuen US–Administration angekündigte Deregulierung. Viele Plattformen, allen voran Elon Musks Netzwerk „X“, sind von Moderation und Faktenchecks schon abgekehrt. Profitieren werden die Extremen. Schon heute kommt man an unverpixelten Gewalt- oder Sexvideos und Deep Fakes kaum vorbei. Das Phänomen nimmt in meiner Wahrnehmung eher zu denn ab.

Dabei mangelt es nicht an gesetzlichen Regelungen, doch geht manch eine Neuregelung an der Praxis schlicht vorbei: Während das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sinnvollerweise vorschrieb, dass Anbieter sozialer Medien einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen mussten, wurde diese Regelung mit Einführung des Digitale-Dienste-Gesetzes, das auf EU-Recht basiert, aufgeweicht. Die Pflicht soll nur noch für Netzwerke gelten, die keinen Sitz in einem EU-Staat haben, was aber nahezu alle relevanten Plattformbetreiber (auch) haben. Und schon droht die Zustellung einer einstweiligen Verfügung einmal mehr am irischen Postboten zu scheitern.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen setzte vor dem OLG Frankfurt a.M. gegen Meta durch, dass die Plattform nach einem ersten Hinweis auf einen rechtsverletzenden Beitrag eine aktive Prüfpflicht hat, sie also selbst nach im Kern identischen Posts suchen und diese entfernen muss. Solche aktiven Prüfpflichten sind elementar, will man die Haftung von Plattformen nicht zur reinen Kosmetik verkommen lassen. Denn in der Praxis ist es noch immer so, dass nach gerichtlicher Untersagung eines Beitrags zeitnah nahezu identische Posts aufploppen, gegen die dann erneut jeweils einzeln vorgegangen werden muss.

Was man keinem Presseerzeugnis durchgehen lassen würde, ist bei Plattformen bis heute gelebte Realität. Rein technisch ist die Umsetzung einer aktiven Prüfpflicht für Netzwerke, die seit Langem Filter für Werbetargeting einsetzen, kein Problem. Dass das für den Schutz von Persönlichkeitsrechten nicht möglich sein soll? Eine recht plumpe Schutzbehauptung. Insofern muss sich die Auffassung der Frankfurter Richter unbedingt durchsetzen. Auch die noch junge Bundesregierung täte gut daran, sich eher heute als morgen für aktive Prüfpflichten einzusetzen. Auch das schützt vor Extremen.

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Prof. Dr. Christian Schertz ist Rechtsanwalt in Berlin sowie Honorarprofessor an den Universitäten Potsdam und Dresden.