NJW-Editorial

Probier’s nicht mit Gemächlichkeit
NJW-Editorial

Aus Karlsruhe kommt ein mahnendes Wort an eine allzu gemächliche Kammer des Landgerichts Hamburg. Dort hatte man sich viel Zeit mit der Begründung eines Urteils gelassen, das im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen war. Das BVerfG erinnerte daran, dass § 315 II 3 ZPO verlangt, dass die Entscheidungsgründe nach einem Stuhlurteil „alsbald“ abgesetzt werden.

22. Mai 2025

Daher sei es mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar, wenn sich ein Gericht routinemäßig bis zu fünf Monate Zeit mit der Urteilsbegründung lässt (BVerfG Beschl. v. 10.4.​2025 – 2 BvR 468/25, BeckRS 2025, 8699).

Gemächlich geht es nicht nur in Hamburg zu. Zivilgerichte entscheiden nicht mehr häufig durch Stuhlurteile, beliebter ist der Verkündungstermin. Die Höchstfrist für einen solchen beträgt drei Wochen, bis dahin muss das Urteil vollständig begründet vorliegen. Eine längere Frist lässt § 310 I 2 ZPO nur zu, wenn wichtige Gründe bestehen. Und „wichtige Gründe“ für eine Verlängerung der Frist oder eine – bisweilen mehrfache – Verlegung des Verkündungstermins scheint es immer häufiger zu geben: Ein norddeutsches Landgericht verschiebt ihn um fünf Wochen. Gründe werden gar nicht erst mitgeteilt. Ein hessisches Amtsgericht verlegt den Verkündungstermin immer wieder. Als das Urteil dann nach mehr als drei Monaten endlich vorliegt, beschränkt sich die Begründung auf eine magere Seite. Ein Gericht im Osten der Republik verschiebt eine bereits einmal verschobene Verkündung ein weiteres Mal – um mehr als zwei Monate. Begründung: „Dienstliche Gründe (krankheits- sowie urlaubsbedingte Abwesenheit verschiedener Kammermitglieder)“. „Dienstliche Gründe“ sind auch anderenorts sehr beliebt als „wichtige Gründe“ gemäß § 310 I 2 ZPO. Oft vergisst man jegliche Angaben zu diesen Gründen.

So wie sich Gerichte die eigenen Fristen floskelhaft verlängern, sind sie auch sehr großzügig mit Fristverlängerungsanträgen der Anwältinnen und Anwälte. Wer gibt sich heute noch Mühe mit der Begründung eines solchen Antrags, wenn wir doch wissen, dass nahezu jede Floskel zur Begründung reicht? Und wo gibt es eigentlich noch Zivilprozesse, in denen ein Gericht Parteivortrag als verspätet zurückweist?

Wir brauchen keine gemächlichen Richterinnen und Richter, sondern eine schnelle und effiziente Justiz. Der Richterberuf sollte nicht primär die ruhige, familienfreundliche Alternative zur Anwaltszulassung sein. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verlangt Anstrengungen aller Beteiligten. Anwältinnen und Anwälte, die strukturiert vortragen und auf diese Weise die Verfahren beschleunigen. Aber auch Gerichte, die strukturiert den Prozess leiten, nicht erst kurz vor dem Verhandlungstermin die Schriftsätze lesen und gesetzliche Fristen peinlich genau nehmen. 

 

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Rechtsanwalt Prof. Niko Härting ist Gründungspartner von Härting Rechtsanwälte, Berlin.