NJW-Editorial

Handlungsfähige Gerichte
NJW-Editorial
© BGH/Anja Koehler

Die viel beachtete Initiative für einen handlungsfähigen Staat adressiert zutreffend, gleichzeitig lösungsorientiert Defizite staatlichen Handelns. Wenn sie dabei auch robustere Mandate für die Verwaltung und den Verwaltungsvollzug fordert, muss die Dritte Gewalt mitgedacht werden.

17. Apr 2025

Denn hier wird staatliches Handeln überprüft, werden Gesetze zur Anwendung und – wie im Strafprozess besonders sichtbar – staatliche Macht zum Ausdruck gebracht. Die Diskussionen um innere Sicherheit und die Kriminalitätsstatistik machen deutlich, wie sehr der entstandene Eindruck der Dysfunktionalität staatlichen Handelns Menschen beunruhigt und zu massiver sowie unterschiedsloser Kritik an aller staatlichen Struktur verleitet.

Zweifellos wird niemand eine (nur) robuste Aufgabenwahrnehmung der Gerichte fordern. Aber der Gesetzgeber wird in der 21. Legislatur aufgefordert sein, keine weiteren Belastungen in die ohnehin stark geforderten Systeme der Justizen des Bundes und der Länder einzutragen. So hat er zuletzt bei Reformvorhaben wie etwa zur strafrechtlichen Hauptverhandlung oder der Abfassung des KCanG wenig Sensibilität für die Arbeitsfähigkeit der Justiz gezeigt. In beiden Fällen hatten die Ländervertretungen, die Praxis sowie zahlreiche Expertinnen und Experten mit guten Argumenten vor den Reformvorhaben und deren konkreter Ausgestaltung gewarnt. Beim KCanG kamen wie so oft in den vergangenen Jahren handwerkliche Schwächen hinzu, die zu erheblichen, leicht vermeidbaren massiven Mehrbelastungen einer ohnehin unter Druck stehenden Strafjustiz bis hin zum BGH geführt haben – und das unabhängig davon, wie man zu den Regelungsinhalten steht. So wurden wichtige Bezüge zum BtMG und zum Allgemeinen Teil des StGB schlicht ausgeblendet und mussten bereits kurz nach dem Inkrafttreten durch den Großen Senat für Strafsachen geklärt werden.

Es bedarf deshalb dringend eines Perspektivwechsels. Bessere Gesetze, weniger Aktivismus, mehr Einbindung: Die Anhörung der Dritten Gewalt und der sie Repräsentierenden muss deutlich früher und deutlich ernsthafter erfolgen als bisher. Sie muss vor die Klammer gezogen werden, um die konkrete Machbarkeit gerade im Verfahrensrecht rechtzeitig in den Blick zu nehmen. Hier ist Weniger meistens Mehr; die schönste Absicht nutzt nichts, wenn sie an der Realität des Gerichtssaals scheitert. Das gilt auch und erst recht für die Einführung neuer Rechtsbehelfe. Die Justiz muss darüber hinaus weiter auf den Wegen ihrer Digitalisierung unterstützt und mit den notwendigen Anreizen für hoch qualifiziertes Personal versehen werden. Wer an der Justiz spart, wird dem Eindruck nachhaltig schädigender staatlicher Defizite nicht wirksam entgegentreten können.

Die Kompetenzen der Bundesgerichte, der Länderjustizen und der Verantwortlichen vor Ort stärker nachzufragen, sollte deshalb oberstes Gebot für einen handlungsfähigen Staat sein. 

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Bettina Limperg ist Präsidentin des BGH.