In den letzten Wochen mussten wir erleben, dass diese gemeinsamen Werte von der Regierung der USA nicht mehr geteilt werden. Schlimmer noch: Die Verteidigung solcher Werte gegen einen Aggressor hat inzwischen einen Kaufpreis erhalten. Seine Währung sind seltene Erden. Die Bereitschaft von US-Präsident Donald Trump zur leichtfertigen Aufgabe der vormals gemeinsamen Werte zeigt, dass auch die europäischen NATO-Partner nicht mehr vorbehaltlos auf den Beistand der USA werden vertrauen können.
Es ist höchste Zeit, dass wir Europäer eine stärkere gemeinsame Identität auch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich entwickeln. Dies setzt auf allen Ebenen eine rasche und effektive Handlungsfähigkeit voraus. Dabei darf es keine Denkverbote geben. Auf EU-Ebene wird das ohne Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips nicht zu erreichen sein. Das Verfassungsrecht muss es ermöglichen, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Die Schuldenbremse dient der Gestaltungsfreiheit der Parlamente künftiger Generationen. Dieselbe Gestaltungsfreiheit steht aber auf dem Spiel, wenn die äußere Sicherheit ernsthaft bedroht ist. Zu überlegen ist auch, ob zur Gewährleistung hinreichender Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaats bereichsspezifische Mehrheitserfordernisse modifiziert werden sollten, die von Verfassungsfeinden zur Blockade notwendiger Maßnahmen missbraucht werden können. Ein Beispiel sind die 2/3-Mehrheiten für die Feststellung des Spannungs- und des Verteidigungsfalls in Art. 80a I und Art. 115a I GG. Auch zur Schaffung einer auf Art. 42 ff. EUV aufbauenden europäischen Verteidigungsgemeinschaft würde es nach Art. 23 I 3 iVm Art. 79 II GG einer 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bedürfen. Bei einer Regelung außerhalb des EUV – gegebenenfalls auch mit Drittstaaten – dürfte hingegen ein einfaches Vertragsgesetz über ein System gegenseitiger Sicherheit nach Art. 24 II iVm Art. 59 II GG ausreichen. Abgesehen davon ist unsere Verfassung auch für den Fall äußerer Bedrohungen durchaus verteidigungsfähig. Die genannten Modifikationen erscheinen aber notwendig, um einer Abhängigkeit von ausländischen Aggressoren und untreuen Freunden zu entgehen. Unsere grundlegenden Werte haben in doppelter Hinsicht einen Preis: den Preis, den US-Präsident Trump erzielen will, wenn er sie verscherbelt. Und den Preis, den wir zahlen müssen, um sie zu verteidigen. Angesichts der Bedeutung, die diese Werte für die Zukunft der Menschheit haben, sollte uns kein Preis zu hoch sein.
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