NJW-Editorial
Resilienz und Respekt
NJW-Editorial

„Mehr Resilienz für das BVerfG“. Mit dieser Forderung wollen demokratische Parteien und Institutionen die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts sichern und es vor politischen Übergriffen schützen. Als warnendes Beispiel wird auf die Entwicklung in Polen während der Regierungszeit der PiS-Partei verwiesen. Ein Entwurf für eine Änderung der Art. 93 und 94 GG liegt dem Bundestag vor (BT-Drs. 20/12977). Der Bundesrat hat bereits mit einer Entschließung und weitergehenden Forderungen reagiert.

25. Okt 2024

Aktuelle Fälle führen aber zu der Frage, ob das BVerfG tatsächlich nur institutionell gestärkt werden muss oder ob seinem Wirken nicht vielleicht auch grundsätzlich etwas mehr Respekt entgegengebracht werden muss – und zwar auch von denjenigen, deren Arbeit durch einen Richterspruch aus Karlsruhe erschwert werden kann. Der Schutz von Verfassung und individuellen Grundrechten darf und muss zuweilen unbequem sein.

Ende Juni machte ein Fall Schlagzeilen, in dem es die Behörden so eilig hatten, eine vom KG für zulässig erklärte Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen nach Ungarn zu vollziehen, dass sie diesen gleich am Folgetag der Entscheidung um zwei Uhr morgens geweckt und per Hubschrauber ausgeflogen haben (zunächst zur österreichischen Grenze). Als das BVerfG dann am späten Vormittag eine einstweilige Anordnung erließ (2 BvQ 49/24), war es zu spät, die betroffene Person war bereits den ausländischen Behörden übergeben. GenStA und LKA sehen sich nun dem Vorwurf ausgesetzt, den Rechtsschutz in Karlsruhe sabotiert zu haben. Die Rechtfertigung der Behörden, der Rechtsbeistand habe nicht die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde, sondern lediglich eine „Beschwerde bei der Justiz“ angekündigt, erscheint angesichts der Tragweite der Entscheidung für den Betroffenen eher wie ein Ablenkungsmanöver.

Weiteres Beispiel: Das BVerfG sieht sich seit mehreren Jahren dazu gehalten, vor allem zwei namentlich genannte Gerichte mit Zuständigkeit in Pressesachen immer wieder auf die Bindungswirkung seiner Entscheidungen hinzuweisen (Nachweise bei rsw.beck.de/arbeitshilfe-moeller). Während es für sich genommen schon irritierend ist, dass das BVerfG überhaupt darauf hinweisen muss, dass ein zusätzlicher Bearbeitungsaufwand keine Rechtfertigung für das Heraushalten einer Verfahrenspartei aus einem Gerichtsverfahren sein kann, muss spätestens der ebenfalls bereits wiederholt vorgebrachte Vorwurf eines entsprechend systematischen Vorgehens dieser Gerichte wachrütteln.

Das BVerfG hat nur wenige Mittel, seinen Entscheidungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Es ist daher in höchstem Maße darauf angewiesen, dass diese beachtet und umgesetzt werden. Hierfür bedarf es vor allem des Respekts aller Staatsgewalten – auch wenn es unbequem ist. 

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wo­chen gra­tis tes­ten inkl. On­line-Modul NJW­Di­rekt.

Dr. Mirko Möller, LL.M., ist Rechtsanwalt und Notar in Dortmund.