NJW-Editorial
Gebühren in Schieflage
NJW-Editorial

Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem unter anderem eine lineare Erhöhung der Anwaltsgebühren erfolgen soll. Freude mag darüber nicht aufkommen; denn ein nüchterner Blick zeigt, dass dies nicht ansatzweise kostendeckend ist. Vielmehr ist das gesamte System in einer Schieflage, die auch für den Zugang der Bürger zum Recht negative Folgen hat.

4. Jul 2024

Das Bundesjustizministerium hat den Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts veröffentlicht, der unter an­derem eine lineare Erhöhung der Gebühren vorsieht. Freude mag darüber nicht aufkommen. Denn ein nüchterner Blick zeigt, dass hier etwas nicht stimmt: Eine Gebühren­erhöhung nach drei Jahren um 6 – 9 % steht in diametralem Gegensatz zu der Tatsache, dass laut Statistischem Bundesamt die Nominallöhne allein im 1. Quartal 2024 um 6,4 % das Vorjahresquartal überstiegen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Lohnnebenkosten im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 % gestiegen sind, wobei hiesige Arbeitskosten zwar rund 25 % über dem EU-Durchschnitt, die anwaltlichen Gebühren aber nur im EU-Mittelfeld liegen. Dazu kommen die steigenden Kosten für Räume und Digitalisierung. Schon der Blick auf diese notwendigen Faktoren anwaltlicher Tätigkeit zeigt, dass derartige Erhöhungen von Gebühren, die der Finanzierung des Kanzleibetriebs dienen, nicht mehr weiterhelfen.

Längst ist eine Schieflage eingetreten, die der Gesetzgeber nicht weiter ignorieren darf: Gerade im ländlichen Raum – anders wohl noch in Ballungszentren – ist das klassische Modell kaum mehr aufrechtzuerhalten, hier zeigt sich die eigentliche Crux besonders deutlich! Rechtsanwälte sollen den Zugang der Bürger zum Recht sicherstellen, sind also Teil der Daseinsvorsorge, während die Finanzierung allein nach den Regeln des wettbewerbsorientierten Wirtschaftslebens erfolgt. Gerade dieser Ansatz würde aber vom Gesetzgeber verlangen, die gesetzlichen Gebühren so auszugestalten, dass sie sich nicht mehr an fiktiven Gebühren ohne Bezug zu den tatsächlichen Kosten orientieren. Wie fiktiv, zeigt sich schon daran, dass die Gerichtsgebühren in gleichem Maße erhöht werden – beide Kostenapparate wären also vergleichbar. Vielmehr müssten die Ge­bühren so bemessen sein, dass eine idealtypische Anzahl von Mandaten in einer durchschnittlichen Kanzlei fachlich sicher bearbeitet werden kann. Oder man tut das, was bei Sachverständigen, Dolmetschern, Schöffen und sogar Zeugen längst üblich ist: den Zeitaufwand berücksichtigen.

Sonst passiert, was vielerorts zu beobachten ist: Menschen mit Beratungshilfeschein oder kleinen Streitwerten sind buchhalterisch längst „Minusaufträge“ und finden immer schwerer einen Anwalt. Denn die viel beschworene „Mischkalkulation“ ist in der moder­nen Vielfalt des Rechtsmarkts längst verloren gegangen. Die Politik provoziert sehenden Auges eine Misere, die aus der medizinischen Versorgung bereits bekannt ist: Die Unterversorgung gerade derer, die sie am dringendsten benötigen. Um diese Situation nicht noch weiter zu verschärfen, hilft nur ein ehrlicher Umgang mit der Tatsache, dass ein faires Rechtssystem Kosten verursacht – und dass das gesetzliche Gebührensystem an dem Widerspruch gescheitert ist, den Zugang zum Recht für alle Bürger durch Wettbewerb zu finanzieren.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht und für IT-Recht in Alsdorf.