NJW-Editorial
Add-on zur ZPO: „Referenzimplementierung“

Keine zwei Monate nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs eines „Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ (vgl. dazu Riehm NJW-aktuell H. 27/2024, 3) liegt nun der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Er enthält zahlreiche Modifikationen. 

26. Sep 2024

Einige davon bewegen sich im Rahmen des ursprünglichen Vorhabens. So wurde beispielsweise ein Weg aus dem Mahnverfahren in das Online-Verfahren eröffnet. Die Möglichkeit, eine Güteverhandlung oder eine mündliche Verhandlung mittels Tonübertragung – durch Telefonkonferenzen – oder mithilfe anderer geeigneter digitaler Kommunikationsmittel durchzuführen, setzt nunmehr das Einverständnis der Parteien voraus. Auffällig ist, dass die ursprünglich vorgesehene Verpflichtung zur Veröffentlichung bestimmter im Online-Verfahren ergangener Entscheidungen entfallen ist. Um einen Anreiz zur Nutzung des Online-Verfahrens zu setzen, wurde der Gebührensatz für das Regelverfahren von 3,0 auf 2,0 reduziert. Damit hat der Regierungsentwurf – anders als der Referentenentwurf – für die Länder haushalterische Auswirkungen.

Hinzu treten aber zusätzlich Veränderungen, die über das ursprüngliche Vorhaben hinausreichen: So soll nunmehr auch die Erprobung weiterer digitaler Eingabesysteme durch das Bundesministerium der Justiz geregelt werden, die dem elektronischen Erstellen von Anträgen oder Erklärungen aus dem Zuständigkeitsbereich der Rechtsantragstellen dienen. Außerdem soll De-Mail in den Verfahrensordnungen nicht mehr als sicherer Übermittlungsweg gelten.

Neben den das Verfahren im engeren Sinne betreffenden Regelungen betritt das Gesetzgebungsvorhaben in einer wichtigen Hinsicht Neuland. Das betrifft die Entwicklung der digitalen Eingabesysteme und der Kommunikationsplattform durch das Bundesministerium der Justiz. In beiden Fällen handelt es sich um Software-Entwicklung. Dadurch wird das Ministerium gewissermaßen zur Software-Schmiede – eine Novität mit beachtlichen Folgewirkungen. Doch damit nicht genug: Die gewählte Umsetzungsform ist die einer „Referenzimplementierung“. Gesetzgebungstechnisch betrachtet, taucht hier ein Fachbegriff der Informatik als Tatbestandsmerkmal auf. Nach einer gängigen Informatik-Definition (NIST, NISTIR 8074, vol. 2, S. 42) hat jede Referenzimplementierung einen Standard als Referenzbezugspunkt. Folglich setzt jede Referenzimplementierung einen Standard voraus. Dieser muss auf normativer Ebene präzise mitbeschrieben werden. Der Brückenschlag zu einer etablierten Informatik-Terminologie auf Tatbestandsebene stellt sich insofern als eine Herausforderung dar, vor deren Folgen die Augen nicht verschlossen werden dürfen. 

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Prof. Dr. Marie Herberger, LL.M., ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Methodenlehre, Recht der Digitalisierung und Legal Tech an der Universität Bielefeld.