Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 31/2023 vom 10.08.2023
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Sachverhalt
Der Kläger war auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 7.3.1996 seit dem 18.3.1996 bei der G GmbH (Schuldnerin) tätig, zuletzt im Rahmen einer 40-Stunden-Woche mit einem monatlichen Bruttolohn i.H.v. 1.780 EUR. Wegen teilweise monatelang verspätet gezahlter Arbeitsvergütung machte der Kläger im Jahr 2017 ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend. Im Juni 2017 erbrachte er für die Schuldnerin keine Arbeitsleistung. In diesem Monat hätte er ohne die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts an 22 Arbeitstagen jeweils 8 Stunden gearbeitet, mithin eine Arbeitsleistung von insgesamt 176 Stunden erbracht. Die Schuldnerin leistete an den Kläger für den Monat Juni 2017 keine Vergütung. Am 1.11.2017 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagten waren im Juni 2017 Geschäftsführer der Schuldnerin. Für den Zeitraum von Juli bis September 2017 bezog der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld.
Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Schadenersatz wegen von der Schuldnerin für Juni 2017 nicht geleisteter Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch. Er vertritt die Auffassung, die Schuldnerin hätte ihm für 176 auf den Monat Juni entfallende Arbeitsstunden eine Vergütung mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 EUR/Stunde zahlen müssen. Hierfür würden die Beklagten aus § 823 II BGB persönlich haften. Nach § 21 I Nr. 9 i.V.m. § 20 MiLoG sei die fahrlässige oder vorsätzliche Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns bußgeldbewehrt. Die Beklagten seien als gesetzliche Vertreter der Schuldnerin nach § 9 OWiG taugliche Täter der Ordnungswidrigkeit; sie hätten den Bußgeldtatbestand auch zumindest fahrlässig verwirklicht. Danach habe er einen „direkten Zahlungsanspruch“ gegen die Beklagten. Der Kläger hat deshalb beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.555,84 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.7.2017 zu zahlen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Der 8. Senat hält die Revision des Klägers für unbegründet. Das LAG habe die Berufung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Senat müsse nicht entscheiden, ob der Kläger für den Monat Juni 2017, in dem er unstreitig keine Arbeitsleistung für die Schuldnerin erbrachte, aufgrund der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung einen Anspruch gegen die Schuldnerin auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 S. 1 iVm. §§ 611a II, 273 I BGB erlangt habe, insbesondere, ob sein Klagevorbringen hinsichtlich der Berechtigung der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts hinreichend schlüssig sei. Die Haftung für Verbindlichkeiten einer GmbH sei nach § 13 II GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. GmbH-Geschäftsführer treffe lediglich dann eine persönliche Haftung gegenüber den Gläubigern der GmbH (Durchgriffshaftung), wenn ein besonderer Haftungsgrund vorliege. Den Geschäftsführer einer GmbH könne im Einzelfall nach § 21 I Nr. 9 MiLoG i.V.m. § 9 I Nr. 1 OWiG eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit treffen, wenn die GmbH ihre Verpflichtung aus § 20 MiLoG verletze, ihren Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 II MiLoG zu zahlen. Diese Verantwortlichkeit führe allerdings nicht zu einer deliktischen Durchgriffshaftung eines GmbH-Geschäftsführers auf Schadenersatz wegen unterlassener Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. § 21 I Nr. 9 MiLoG i.V.m. § 9 I Nr. 1 OWiG sei kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 II BGB zu Gunsten der Arbeitnehmer der GmbH im Verhältnis zu deren Geschäftsführer.
Praxishinweis
Der Entscheidung kann nur zugestimmt werden. Aufgrund der gesetzlichen Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG haftet eine GmbH als Arbeitgeberin für durch Verstöße gegen gesetzliche Ver- und Gebote entstehende Schäden ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Eine Haftung der Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Dieses Haftungssystem kann zwar durch den Gesetzgeber erweitert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die einer Haftung nach § 823 II BGB begründende Schutznorm hinreichend deutlich erkennen lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Geschäftsführer der Gesellschaft über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungsbestände hinausgehend persönlich haften sollen. Das ist jedoch bei § 21 I Nr. 9 MiLoG nicht der Fall.
BAG, Urteil vom 30.03.2023 - 8 AZR 120/22 (LAG Thüringen), BeckRS 2023, 17799