Anmerkung von
RAin Lea Kuhr, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M.
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 01/2022 vom 13.01.2022
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Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen tariflichen Anspruch auf Freistellung in der Verbraucherinsolvenz des Klägers. Als Beschäftigter der Beklagten erhielt der Kläger ein tarifliches Zusatzgeld, das entfällt, wenn er anstelle dessen einen Anspruch auf tarifliche Freistellungszeit wahrnimmt. Über das Vermögen des Klägers wurde im April 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Sein Arbeitseinkommen wurde daraufhin gepfändet. Der Kläger beantragte Restschuldbefreiung. Diese wurde durch gerichtlichen Beschluss im Oktober 2017 angekündigt; es wurde ein Treuhänder bestimmt. Im Februar 2018 hob das Amtsgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren auf. Im August 2019 erteilte das Amtsgericht die Restschuldbefreiung. Der Kläger beantragte im Jahr 2018 die Gewährung einer tariflichen Freistellungszeit für das Jahr 2019. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Verweis auf die Verbraucherinsolvenz des Klägers ab. Vor dem ArbG beantragte der Kläger zunächst eine entsprechende Freistellung im Kalenderjahr 2019, im Berufungsverfahren dann eine Freistellung im Kalenderjahr 2020. Beide Instanzen gaben den jeweiligen Anträgen des Klägers statt.
Entscheidung
Nach Ansicht des BAG hat der Kläger keinen tariflichen Anspruch auf Freistellung für das Jahr 2019, sodass auch keine Übertragung des Freistellungsanspruchs auf das Jahr 2020 in Betracht kommt. Der Kläger sei bzgl. des für das Jahr 2019 geschuldeten tariflichen Zusatzgeldes nicht mehr in vollem Umfang verfügungsberechtigt und könne daher auch keinen tariflichen Freistellungsanspruch geltend machen. Da der Freistellungsanspruch „statt“ des tariflichen Zusatzgeldes bestehe, müssten auch die diesbzgl. Voraussetzungen erfüllt sein und der Beschäftigte müsse über den Geldanspruch rechtswirksam verfügen können. An einer Verfügungsbefugnis fehle es, falls der Beschäftigte bzgl. des Geldanspruchs einem gesetzlichen Verfügungsverbot unterliege oder den Geldanspruch an einen Dritten abgetreten habe. Letzteres sei hier der Fall.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beschäftigten ergebe sich ein gesetzliches Verfügungsverbot aus § 81 InsO. Der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld gehöre zur Insolvenzmasse und unterfalle damit dem Insolvenzbeschlag. Die Arbeitskraft des Schuldners und das Arbeitsverhältnis als solches gehörten zwar nicht zur Insolvenzmasse, etwas Anderes gelte aber für künftige Entgeltansprüche des Schuldners aus einem unverändert gebliebenen Arbeitsverhältnis. Derartige Erlöse aus der Verwertung der Arbeitskraft unterfielen dem Insolvenzbeschlag. Über sie dürfe der Schuldner außerhalb der Pfändungsgrenzen nicht mehr zum Nachteil der Masse verfügen. Durch die Geltendmachung des tariflichen Freistellungsanspruches verfüge der Beschäftigte über das tarifliche Zusatzgeld und gebe damit (im pfändbaren Umfang) zu Lasten seiner Gläubiger eine geldwerte Rechtsposition auf, da bei Inanspruchnahme des tariflichen Freistellungsanspruchs der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld entfalle. Die „Gegenleistung Freizeit“ stelle kein Äquivalent zu Gunsten der Insolvenzmasse dar, sondern diene allein dem Beschäftigten persönlich. Eine solche Schmälerung der Insolvenzmasse wolle § 81 I 1 InsO gerade verhindern. Werde in einer Verbraucherinsolvenz eine Restschuldbefreiung beantragt, gelte § 81 II 2 InsO, wonach das Recht des Schuldners zur Abtretung von Bezügen aus einem Dienstverhältnis an einen Treuhänder mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unberührt bleibe. Diese Ausnahme vom grundsätzlichen Verfügungsverbot trage dem Umstand Rechnung, dass § 287 II InsO die Abtretung unpfändbarer Forderungen an einen Treuhänder zur Voraussetzung für die Erlangung der Restschuldbefreiung mache. Strebe der Beschäftigte eine Restschuldbefreiung an, sei er gehalten, seine pfändbaren Ansprüche auf Arbeitsentgelt an den Treuhänder abzutreten. Infolge der Abtretung sei der Kläger nicht mehr befugt gewesen, über den Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld zu verfügen. Daher war er nicht berechtigt, anstelle des Zusatzgeldes die Freistellung zu verlangen.
Praxishinweis
Die Entscheidung lenkt das Augenmerk des Arbeitgebers darauf, welche Auswirkungen eine Verbraucherinsolvenz auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis hat.
BAG, Urteil vom 15.07.2021 - 6 AZR 460/20 (LAG Bremen), BeckRS 2021, 36970