NJW-Editorial

Di­gi­ta­le Ver­trags­rechts­re­form
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Foto_Beate_Gsell_WEB
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Zur Um­set­zung der Richt­li­nie über be­stimm­te ver­trags­recht­li­che As­pek­te der Be­reit­stel­lung di­gi­ta­ler In­hal­te und di­gi­ta­ler Dienst­leis­tun­gen sieht ein ak­tu­el­ler Ge­setz­ent­wurf des Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums vor, die eu­ro­päi­schen Vor­ga­ben pri­mär ins all­ge­mei­ne Ver­trags­recht zu in­te­grie­ren. Das ver­dient Zu­stim­mung. Ein­fa­cher wird die Rechts­an­wen­dung da­durch al­ler­dings nicht. 

3. Dez 2020

Wenn Com­pu­ter­pro­gram­me, Cloud­diens­te und so­zia­le Me­di­en ge­nutzt oder Filme und Kon­zer­te ge­streamt wer­den, dann las­sen sich die be­tref­fen­den Schuld­ver­trä­ge oft nicht ohne Wei­te­res in die über­kom­me­ne Ver­trags­ty­po­lo­gie ein­ord­nen und wer­fen spe­zi­fi­sche Re­ge­lungs­fra­gen auf: Statt ein­ma­li­gem Aus­tausch Nut­zungs­ge­wäh­rung und Dienst­leis­tungs­ele­men­te mit mehr oder we­ni­ger star­ker Dau­er­schuld­prä­gung.

Der eu­ro­päi­sche Ge­setz­ge­ber hat sich die­ser ge­wan­del­ten Ver­trags­rea­li­tät an­ge­nom­men und im Mai ver­gan­ge­nen Jah­res die bis zum 1.7.2021 um­zu­set­zen­de Richt­li­nie (EU) 2019/770 über be­stimm­te ver­trags­recht­li­che As­pek­te der Be­reit­stel­lung di­gi­ta­ler In­hal­te und di­gi­ta­ler Dienst­leis­tun­gen er­las­sen (ABl. 2019 L 136, 1). Sie re­gelt vor allem Qua­li­täts­an­for­de­run­gen und Rechts­be­hel­fe bei Män­geln ein­schlie­ß­lich einer grund­sätz­lich ein­jäh­ri­gen Be­weis­last­um­kehr und zwei­jäh­ri­gen Haf­tungs­frist, fer­ner die Ver­trags­be­en­di­gung bei nicht er­folg­ter Be­reit­stel­lung. In­no­va­tiv sind die Pflich­ten des Un­ter­neh­mers, Up­dates be­reit­zu­stel­len, und die Re­ge­lung des Schick­sals der Daten des Ver­brau­chers nach Ver­trags­be­en­di­gung.

Nun­mehr liegt ein Re­fe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums der Jus­tiz und für Ver­brau­cher­schutz zur Um­set­zung vor. Sein An­satz, die eu­ro­päi­schen Vor­ga­ben pri­mär ins all­ge­mei­ne Ver­trags­recht, in einen neuen „Titel 2a Ver­trä­ge über di­gi­ta­le Pro­duk­te“ (§§ 327–327u BGB) zu in­te­grie­ren, ver­dient Zu­stim­mung, eben weil dies die An­wen­dung un­ab­hän­gig von der Ty­pen­zu­ord­nung des kon­kre­ten Ver­trags ge­währ­leis­tet. Dass damit Re­ge­lun­gen zu einem be­son­de­ren Ver­trags­ge­gen­stand all­ge­mein vor die Klam­mer ge­zo­gen wer­den, mag man für un­schön hal­ten, ist aber hin­zu­neh­men, weil das Ord­nungs­kri­te­ri­um „di­gi­ta­les Pro­dukt“ nun ein­mal quer liegt zur Sys­te­ma­tik der §§ 433–676c BGB.

Ein­fa­cher wird die Rechts­an­wen­dung al­ler­dings nicht. Ein­mal mehr er­weist sich die Ein­pas­sung de­tail­lier­ter und zu­gleich voll­har­mo­ni­sie­ren­der eu­ro­päi­scher Vor­ga­ben ins ge­wach­se­ne na­tio­na­le Recht als stei­nig: So sol­len bei Di­gi­tal­ver­trä­gen künf­tig Kün­di­gung und Rück­tritt durch die neue „Ver­trags­be­en­di­gung“ mit ei­ge­nen Vor­aus­set­zun­gen und Fol­gen er­setzt wer­den. Und um des Gleich­laufs wil­len wird auch der Scha­dens­er­satz statt der Leis­tung ad­ap­tiert, ob­wohl er gar nicht von der Di­gi­tal-RL (EU) 2019/770 ge­re­gelt wird. Dass da­durch Wer­tungs­wi­der­sprü­che ge­gen­über an­de­ren Ver­trä­gen dro­hen, liegt eben­so auf der Hand wie die Ge­fahr von rechts­tech­ni­schen Feh­lern, Re­ge­lungs­lü­cken und Ab­gren­zungs­schwie­rig­kei­ten, wie sie jedes Son­der­re­gime birgt.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist es ver­nünf­tig, dass der Ent­wurf keine über­schie­ßen­de Um­set­zung vor­nimmt, auch wenn na­ment­lich die Pro­ble­ma­tik der Up­dates und ins­be­son­de­re der Si­cher­heit­sup­dates ge­wiss auch beim B2B-Ver­trag re­ge­lungs­be­dürf­tig ist. •

Prof. Dr. Beate Gsell ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches Privat- und Verfahrensrecht an der LMU München sowie Richterin am OLG München.