Es antwortete der damalige Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton: „In Europe, the bird will fly by our rules #DSA“ und eröffnete in Folge Verfahren gegen X sowie andere Plattformen, die die Regeln des Digital Services Act (DSA) nicht befolgen wollten. Musk hat dies als Einschränkung der freien Rede gebrandmarkt. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat er nun die sprichwörtliche Nuklearoption gezogen: Er ließ den künftigen Vizepräsidenten JD Vance ankündigen, dass sich Europa zwischen freier Rede (gemeint: dem DSA) und der NATO entscheiden müsse.
Worum geht es? Das Internet ist und war nie ein rechtsfreier Raum – anders als uns manche Web-Pioniere glauben lassen wollten. Das Recht wurde aber lange Zeit nicht besonders energisch durchgesetzt. Das hat zu einer Kultur geführt, die frühere AGB von X gut zusammenfassen: „Wir können Ihre Accounts sperren oder kündigen oder Ihnen die Bereitstellung der Dienste jederzeit aus beliebigem Grund ganz oder teilweise verwehren (…).“ Auf gut Deutsch: Wir machen, was wir wollen und wie wir es wollen. My platform is my castle! Die EU ist mit dem DSA angetreten, das zu ändern. Sie will private Macht von Diensteanbietern einhegen durch Transparenz, Rechenschaftspflichtigkeit, Selbstbindung, Nutzerrechte und Prozeduralisierung (Überblick bei Raue/Heesen NJW 2022, 2537; ausführlicher Hofmann/Raue, DSA, 2023, Einleitung; Husovec, Principles of the DSA, 2024). Diese Regeln gelten für alle Plattformen, die sich an Nutzer in der EU richten. Wenn Musk seinen Dienst hier zurückzuzieht, um dem DSA zu entgehen, mögen das einige bedauern. Es wäre aber eine angemessene Reaktion auf ungewollte Regulierung – und der Preis für sichere und verantwortliche Plattformdienste in der Union. Denselben Effekt hatte die DS-GVO auf einige Web-Angebote – und wegen der KI-VO hat Apple ein KI-Feature für sein iPhone in der EU erst später angeboten.
Die inkonnexe Drohung mit Konsequenzen für die NATO zeigt aber, wes geistiges Kind Musk ist. Ihm geht es nicht darum, unangemessene Einmischungen in die Verbreitung von Meinungen abzuwehren. Er will nur seine Macht nicht begrenzen lassen. An diese „Deal“ genannten Erpressungen werden wir uns gewöhnen müssen. Wir sollten trotzdem nicht innere gegen äußere Souveränität austauschen. Bekommt ein Bully, was er will, macht er einfach weiter. Es gibt aber einen anderen, marktkonformen Ausweg aus dem Showdown: Wenn in der EU X genügend Nutzer den Rücken kehren, verliert es seinen Status als sehr große Online-Plattform mit 45 Mio. monatlichen Nutzern in der EU – und unterliegt damit nicht mehr der Aufsicht der Kommission. Deal?
Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.