NJW-Editorial
Digitale Gerichtsöffentlichkeit?
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@ MdJ Saarland

Die Digitalisierung bringt eine grundlegende Transformation des Rechtswesens mit sich. Die Debatte um das Selbstverständnis und die konkrete Ausgestaltung der Justiz im digitalen Zeitalter ist hierzulande in vollem Gange. Speziell der Grundsatz der Öffentlichkeit scheint in Deutschland für viele freilich untrennbar verbunden mit der analogen Welt.

31. Aug 2023


„Justice must be spent in public, seen in public, done in public“, so das Credo von Lord Pentland, Richter des Repräsentantenhauses in Schottland. Dort werden seit dem 27.6. dieses Jahres Verhandlungen vor dem Court of Session regelmäßig per Live-Stream übertragen. „Justice“, so Pentland beim Start des von ihm geleiteten Projekts „Court Session live“, „being dispensed in public is one of the most fundamental principles we have in this country and absolutely central to the running of the justice system. It reinforces the independence, integrity and stability of our courts. Technology presents us with the opportunity to widen public access and make the courts more visible and ­accessible.“ Ein eindrucksvolles Plädoyer für die Nutzung von Technik zur Stärkung der Sichtbarkeit der Justiz und damit des Vertrauens in die Justiz!

Die Digitalisierung bringt, das ist nicht erst seit dem durch ChatGPT ausgelösten Hype um KI klar, eine grundlegende Transformation des Rechtswesens mit sich. Die Debatte um das Selbstverständnis und die konkrete Ausgestaltung der Justiz im digitalen Zeitalter ist hierzulande in vollem Gange. Speziell der Grundsatz der Öffentlichkeit scheint in Deutschland für viele freilich untrennbar verbunden mit der analogen Welt. Während im angloamerikanischen Rechtsraum die Einschränkungen der Corona-Pandemie in puncto physischer Präsenz bei Gericht häufig zu einer Öffnung oder Ausweitung der virtuellen Teilnahme – auch und gerade der Öffentlichkeit – an Gerichtsverhandlungen führten, gingen die Überlegungen in Deutschland eher in die andere Richtung. Die Pandemie hat zwar der seit langem gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Teilnahme an mündlichen Verhandlungen per Videokonferenz zum Durchbruch verholfen. Die stärkere Öffnung für Videoverhandlungen hat die Diskussion um eine digitale Gerichts­öffentlichkeit indes nicht befördert.

Die Argumente gegen eine digitale Gerichtsöffentlichkeit kennen wir aus der seit Langem geführten Debatte um eine audiovisuelle Medienöffentlichkeit oder der aktuellen Diskussion um die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung. Es besteht die Sorge, die am Verfahren Beteiligten könnten sich in ihren Äußerungen gehemmt sehen oder ihr Verhalten verändern und damit die Wahrheitsfindung erschweren. Es geht weiterhin um den Schutz der Privatsphäre von Beteiligten und Zeugen und schließlich um die Gefahr der Manipulation und Desinformation durch „deep fake“. Diese Bedenken muss man natürlich ernst nehmen. Angesichts der eingangs angesprochenen Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat ­dürfen sie jedoch nicht dazu führen, dass gerade dieses Thema im digitalen Transformationsprozess der Justiz ausgeblendet wird. Insofern ist es wichtig, dass sich der diesjährige EDV-Gerichtstag, der vom 13. bis 15.9. in Saarbrücken stattfindet, der digitalen Gerichtsöffentlichkeit an prominenter Stelle widmet.

Dr. Anke Morsch ist Präsidentin des Saarländischen FG und ​Vorstandsvorsitzende des Deutschen EDV-Gerichtstags e.V.