Urteilsanalyse
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Anmerkung von
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht Dr. Manuel Lorenz, KNIERIM LORENZ BREIT Rechtsanwälte PartG mbB, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 23/2023 vom 16.11.2023
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Das AG hat den Angeklagten (A) wegen einfachen Diebstahls zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Dem liegen folgende Feststellungen zugrunde:
In einem Fall hielt sich der obdachlose A in den Geschäftsräumen eines Supermarktes auf. Da er Hunger hatte, entwendete er dort verschiedene Lebensmittel, indem er diese in seinen Rucksack steckte. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht sollte die Ware nicht bezahlt werden. In einer geschlossenen Innentasche seiner Jacke hatte A ein beidseitig geschliffenes Springmesser mit einer Klingenlänge von 14,5 cm dabei, das sich in zusammengeklapptem Zustand befand. Hierbei handelte es sich um das Geschenk eines Freundes, das A damals zum Schutz und zum Zerkleinern von Lebensmitteln allgemein bei sich hatte.
Einen Monat später hielt sich der nach wie vor obdachlose A erneut in den Geschäftsräumen des Supermarktes auf. Da er Hunger hatte, entwendete er erneut diverse Lebensmittel, indem er diese in seinen Rucksack steckte. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht sollte die Ware wieder nicht bezahlt werden. Dieses Mal hatte A in der Innentasche seiner Jacke ein Taschenmesser bei sich, das er damals zum Schneiden von Lebensmitteln und zum Schnitzen von Holz benutzte.
In beiden Fällen war sich A zum Zeitpunkt der Tat der Präsenz des jeweiligen Messers nicht bewusst und wollte dieses auch nicht verwenden.
Das AG bejahte abweichend von der Anklageschrift nur ein Eingreifen von § STGB § 242 StGB, nicht aber von § STGB § 244 Abs. STGB § 244 Absatz 1 Nr. STGB § 244 Absatz 1 Nummer 1a StGB, da der A sich der Messer nicht ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen konnte. Soweit auch § STGB § 244 Abs. STGB § 244 Absatz 1 Nr. STGB § 244 Absatz 1 Nummer 1b StGB in Betracht kam, sei diese Variante im Hinblick auf das fehlende Bewusstsein des A hinsichtlich des mitgeführten Taschenmessers und seinen fehlenden Willen, es zur Verhinderung oder Überwindung etwaigen Widerstands einzusetzen, zu verneinen.
Gegen das Urteil richtet sich die zu Ungunsten des A eingelegte Revision der StA, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das OLG hat das Urteil der Vorinstanz samt Feststellungen – mit Ausnahme der Feststellungen zur äußeren Tatseite – aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG zurückverwiesen.
Der Schuldspruch wegen einfachen Diebstahls halte rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § STGB § 244 Abs. STGB § 244 Absatz 1 Nr. STGB § 244 Absatz 1 Nummer 1a StGB sei erforderlich, dass der Täter eine Waffe und ein gefährliches Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei sich führe. Bei einem Springmesser handele es sich regelmäßig um eine Waffe und bei einem Taschenmesser um ein gefährliches Werkzeug. Für ein Beisichführen genüge es, dass sich der Gegenstand in Griffweite des Täters befinde und dieser sich des Gegenstandes ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen könne. Davon sei grundsätzlich auszugehen, wenn der Täter den Gegenstand am Körper trage. Für den Vorsatz reiche es aus, dass der Täter das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck gerichtete Bewusstsein, eine funktionsbereite Waffe oder ein gefährliches Werkzeug in diesem Zustand zur Verfügung zu haben. Dies liege bei dem Mitführen von Taschenmessern nicht auf der Hand, sondern bedürfe näherer Ausführungen des Tatrichters.
Danach sei die Annahme des AG, der A habe sich der Messer nicht ohne nennenswerten Aufwand bedienen können, angesichts seiner Feststellungen nicht nachvollziehbar. Auch soweit das AG von einem fehlenden Bewusstsein des Mitführens der Messer ausgehe, sei seine Rechtsanwendung nicht rechtsfehlerfrei. Die Ausführungen in den Urteilsgründen ließen schon nicht erkennen, ob das AG berücksichtigt habe, dass es für die Annahme des Bewusstseins ausreichend sei, dass ein allgemeines, während der Tatbegehung aktuelles Bewusstsein im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, ausreiche. Das AG sei insoweit erkennbar von der Einlassung des A ausgegangen, habe diese aber nicht der erforderlichen kritischen Würdigung unterzogen, die hier notwendig gewesen wäre. Die Angaben einen Angeklagten brauchten auch mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz nicht als unwiderlegt den Feststellungen zugrunde gelegt zu werden, wenn es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gebe. Vielmehr seien sie insbesondere auf ihre Plausibilität und anhand des übrigen Beweisergebnisses auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Die Urteilsgründe ließen jedoch nicht erkennen, dass das AG diese Prüfung vorgenommen habe. Wesentliche in die Prüfung einzustellende Gesichtspunkte seien unerörtert geblieben.
Zu ersten Tat werde hierzu in den Urteilsgründen einerseits ausgeführt, dass der A ein Messer dabeigehabt habe, was ihm jedoch zum Zeitpunkt der Tat "nicht bewusst gewesen" sein soll. Andererseits werde dort mitgeteilt, dass das Messer das Geschenk eines Freundes gewesen sei, das er damals allgemein bei sich geführt habe, um Lebensmittel zu zerkleinern und sich schützen zu können. Es erscheine widersprüchlich, dass A sich darüber bewusst gewesen sein soll, das Messer allgemein, auch zur Selbstverteidigung bei sich zu führen, dies aber während des Diebstahls nicht mehr gewusst habe. Schließlich wäre zu berücksichtigen gewesen, dass es sich bei einem Springmesser mit einer Klingenlänge von 14,5 cm nicht um einen Alltagsgegenstand handele und deshalb das Bewusstsein, es bei sich zu führen, naheliege.
Hinsichtlich der zweiten Tat habe der A ebenfalls angegeben, nicht "im Kopf gehabt" zu haben, das dem Schneiden von Lebensmitteln und Holz dienende Messers bei sich zu tragen. Auch in diesem Fall habe der A allerdings Lebensmittel zum Verzehr gestohlen und somit beabsichtigt, das Messer im Nachgang zur Tat zu verwenden.
Nach der Einlassung sei davon auszugehen, dass der A die Messer täglich und nicht nur in Ausnahmefällen verwende. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den beiden Taten auch nicht um dasselbe Messer handelte, sondern er in dem Monat zwischen der ersten und der zweiten Tat ein weiteres Messer beschafft haben muss. Die nicht allzu lange zurückliegende Beschlagnahme des ersten Messers nach einem Diebstahl lasse die gedankliche Verknüpfung des Messerbesitzes mit dem Diebstahl im zweiten Fall naheliegend erscheinen.
Die Entscheidung ist abzulehnen. Zwar verkennt das OLG Zweibrücken nicht die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Anforderungen des Beisichführens einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs. Das OLG Zweibrücken füllt jedoch die fehlenden tatrichterlichen Feststellungen des AG zulasten des Angeklagten mit eigenen Vermutungen zur subjektiven Tatseite und verstößt damit gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Zweifelsgrundsatz in dubio pro reo. Die Feststellungen des AG tragen jeweils eine Verurteilung wegen eines Diebstahles mit Waffen nicht.
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