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Selbstständigen winkt die Freiheit von Sozialabgaben. Das BSG muss wieder einmal die Kriterien dafür festzurren. Bei den obersten Sozialrichtern geht es außerdem darum, ob ein freiwillig gesetzlich versicherter Rentner höhere Beiträge zahlen muss, wenn er einen lukrativen Verkauf seiner Immobilie getätigt hat. Und der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat sucht Kompromisse über Videoverhandlungen vor Gericht sowie zum Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz.

14. Feb 2024

Zwangsversicherung. Sozialabgaben bedeuten ziem­liche Abzüge vom Gehalt, und ihre Rendite ist eher mickrig. Kein Wunder, dass vorm 12. Senat des BSG mit schöner Regelmäßigkeit Klagen von Menschen landen, die sich nicht als abhängig Beschäftigte sehen, sondern als beitragsfreie Selbstständige. Am 20.2. geht es in Kassel um drei solcher Fälle. Da will sich ein Prokurist, zugleich Gesellschafter eines Unternehmens, von den Zahlungen für Kranken- und Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung befreien lassen. Sein Statusfeststellungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund scheiterte allerdings ebenso wie seine Klage vor dem LSG Berlin-Brandenburg. Sein Pech: Er besitzt nur ein Viertel des Gesellschaftsanteils, sein Vater den Rest. Auch durfte er alleine nur über Maßnahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs entscheiden, für alles Weitere musste er den Papa um Erlaubnis fragen und Einstimmigkeit erzielen.

Den Richtern in Potsdam war es ziemlich egal, was im Vertrag stand: Bei solchen Vereinbarungen könne es sich auch um einen „Etikettenschwindel“ handeln. Entscheidend seien die tatsächlichen Verhältnisse. Ungeachtet seiner Beteiligung am Gesellschaftskapital arbeite der Kläger als Prokurist für eine von ihm zu unterscheidende juristische Person, nämlich das familiäre Unternehmen. Vor allem sei er bloß Minderheitsgesellschafter und damit trotz freier Entscheidung über Ort und Inhalt seiner Tätigkeit sowie Dauer und Lage seiner Erholungszeiten nicht autonom. Trotz seiner Sperrminorität habe er keine Leitungsmacht über seinen Erzeuger, der Mehrheitsgesellschafter sei, und sei auch nicht der bestellte Alleingeschäftsführer. Am selben Tag verhandeln die obersten Sozialrichter überdies über einen Geschäftsführer einer GmbH, deren Mitgesellschafter eine Holding ist, in der der Betroffene nur einer von mehreren alleinvertretungsberechtigen Gesellschafter-Geschäftsführern ist. Und über einen zur Hälfte am Stammkapital einer Gesellschaft beteiligten Mitinhaber, dessen Stellung als Geschäftsführer durch die eines Assistenten des Liquidators ersetzt wurde.

Zusatzverdienst. Spannend wird es am selben Tag auch für Rentner, die freiwillig kranken- und pflegeversichert sind und im Ruhestand einen ordentlichen Zusatzgewinn erwirtschaftet haben. Der Kläger erhielt ­Altersbezüge von monatlich knapp 825 Euro und berappte rund 137 Euro Kranken- sowie 21 Euro Pflegeversicherung. Doch dann verkaufte der Privatier seinen Miteigentumsanteil an einer vermieteten Immobilie; der Einkommensteuerbescheid wies einen Verlust von zuletzt fast 13.000 Euro sowie einen Verlustvortrag von gut 27.000 Euro auf. Das brachte ihm eine saftige Erhöhung seiner Abgaben bis zur Beitragsbemessungsgrenze von damals rund 750 Euro im Monat ein. Das LSG Baden-Württemberg fand das völlig in Ordnung: Nach § 3 I 1 „Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler“ (BeitrVerfGrsSz) seien als beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden (oder werden können), zugrunde zu legen. Gegebenenfalls sei der Betrag jedem Monat mit einem Zwölftel zuzuordnen. Und ein Verlustvortrag, wie ihn § 10d EStG normalerweise gestatte, sei hier auch nicht erlaubt.

Kompromisssuche. Im Bundesratsgebäude an der Leipziger Straße in Berlin könnten sich am 21.2. gleich vier wichtige Vorhaben entscheiden. Auf der Tagesordnung des Vermittlungsausschusses stehen das vom Bundestag verabschiedete Krankenhaustransparenz- und das Wachstumschancengesetz, die die Länderkammer grundlegend überarbeitet wissen will. Besonders wichtig für Juristen: Auch wird ein Kompromiss über das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz sowie über das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten gesucht, gegen die die Länder trotz großer Mehrheit im Bundestag beträchtliche Einwände geltend machen.

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Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.