Karlsruhe judiziert weiter. Auch die obersten Bundesgerichte treten in der Corona-Pandemie kürzer – so hat der BFH bis auf Weiteres sogar sämtliche Verhandlungen abgeblasen, und das BVerfG hat eine aufs Messegelände ausgelagerte Erörterung zur aufgestockten Parteienfinanzierung doch wieder abgesetzt (NJW-aktuell H. 5/2021, 6). In den Ankündigungen von BVerwG, BAG und BSG ist zumindest unsere Berichterstattungswoche leer geblieben. Anders am BGH: Dort will man am 11.2. ein Urteil im Streit zweier Versandshops um rote Offiziersmesser aus der Schweiz verkünden. Die grundlegende Rechtsfrage dahinter lautet: Muss ein Händler im Internet auch dann über die näheren Konditionen einer Garantie aufklären, wenn er auf deren Bestehen erst auf einer Unterseite hinweist, die nur durch einen weiteren Klick erreichbar ist? Angehört hat sich der I. Zivilsenat die Argumente der Kontrahenten bereits im vergangenen November; das LG Bochum und das OLG Hamm haben den Fall in den Vorinstanzen kontrovers entschieden (NJW-aktuell H. 48/2020, 6).
Am obersten Zivil- und Strafgericht hat man es mit umfangreichen Hygienemaßnahmen geschafft, den Betrieb weitgehend aufrechtzuerhalten. Trennwände aus Plexiglas in jedem Verhandlungssaal sollen die Richter vor gegenseitigen Ansteckungen mit Covid-19 schützen. Messgeräte checken zudem fortwährend den Gehalt an Kohlendioxid in der Raumluft: Zeigen die CO2-Ampeln einen zu hohen Wert an, werden die Fenster oder – wo es keine gibt – zumindest die Türen aufgerissen. Dass Justizwachtmeister mit Palmwedeln Frischluft herbeifächern müssten, ist natürlich nicht vorgesehen. Aber wie auch in schulischen Klassenzimmern bieten die Vorrichtungen einen guten Indikator, wann zu viele virengeschwängerte Aerosole durch die Luft schwirren: Sie sind quasi die Kanarienvögel der frühen Bergarbeiter unter Tage.
Weniger einheitlich ist die Praxis der Richter, was das Tragen von FFP2-Masken angeht. Manche nutzen sie nur beim Einzug in die Verhandlung, andere setzen sie lediglich dann ab, wenn sie selbst sprechen, wie BGH-Sprecherin Dietlind Weinland der NJW berichtet hat. Unterschiedlich auch die Praxis bei den Beratungen: Manche Senate setzen komplett auf Videocalls über das hauseigene Intranet; die Verständigung klappt dabei erfahrungsgemäß besser, wenn die Teilnehmer im Karlsruher Arbeitszimmer statt im Homeoffice sitzen, wo die Internetanbindung mitunter zu wünschen übrig lässt. Andere tagen in der Bibliothek, im Plenarsaal oder dem Zimmer des jeweiligen Vorsitzenden. Anwälte werden vermehrt gebeten, sich aufs schriftliche Verfahren einzulassen, was natürlich nur in Zivilsachen möglich ist. Und sie sollen zumindest dann eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, wenn sie nicht gerade plädieren. Die eine oder andere Verhandlung wurde aber auch vertagt. Besuchergruppen werden überhaupt nicht mehr eingelassen, und individuelle Zuschauer kommen deutlich seltener als früher und dürfen nur noch jeden dritten Sitzplatz einnehmen – die Abstände hat Sprecherin Weinland eigens mit dem Zollstock ausgemessen.
EuGH-Generalanwalt zu Einreiseverbot. Kaum ausgedünnt wirkt das Arbeitsprogramm des EuGH. Dort will am 10.2. Generalanwalt Priit Pikamäe den Richtern seine Expertise zu einer Vorlage des BVerwG zukommen lassen. Es geht um ein Einreiseverbot, das Deutschland gegen einen Drittstaatsangehörigen zu „nichtmigrationsbedingten“ Zwecken erlassen hat. Hier handelt es sich um einen in Syrien geborenen Palästinenser mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, der bereits 1990 als Vierjähriger zusammen mit seinen Eltern unter falschen Personalien eingereist war. Sein Asylantrag wurde mehrfach abgelehnt; im Jahr 2013 verurteilte ihn das OLG Koblenz wegen Hilfstätigkeiten für islamistisch-terroristische Vereinigungen zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Für den Fall, dass er trotz Duldung seiner bestandskräftigen Ausweisung nachkommt, erließ der Westerwaldkreis ein vierjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot. Die Leipziger Bundesrichter wollen nun von ihren Kollegen in Luxemburg wissen, ob dies mit der EU-Rückführungsrichtlinie vereinbar ist.