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Die Termine der 44. Kalenderwoche
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Kaum eine Gesetzesänderung hat zuletzt dermaßen polarisiert: Seither kann in bestimmten Fällen jemand erneut angeklagt werden, der bereits rechtskräftig freigesprochen wurde. Anlass war der Mord an einem Mädchen vor über 40 Jahren. Das BVerfG entscheidet nun über die Verfassungsbeschwerde des mutmaßlichen Täters. Und einem Mann aus Gambia werden vor dem OLG Celle Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

26. Okt 2023

Wiederaufnahme zulasten eines Freigesprochenen. Der Grundsatz des „ne bis in idem“ dürfte (neben dem sprichwörtlichen „in dubio pro reo“) den lateinischen Wortschatz der allermeisten Juristen bereichern. Das BVerfG verkündet am 31.10., wie weit dieses Verbot der Doppelbestrafung reicht – und das in einem Mordfall, der sich vor über 40  Jahren zugetragen hat. Das LG Lüneburg hatte einen Arbeiter zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er die Schülerin Frederike von Möhlmann vergewaltigt und ermordet haben sollte. Das Mädchen war von einer Chorprobe in Celle ins heimische Hambühren getrampt. Wegen Mängeln in der Beweisführung, bei denen es um Reifenspuren am Fundort der Leiche in einem Waldstück sowie um Faserspuren an der Kleidung ging, ordnete der BGH eine neue Verhandlung vor dem LG Stade an. Das sprach 1983 den drei Jahre zuvor aus der Türkei eingewanderten Kurden von dem Vorwurf frei, elfmal auf die 17-Jährige eingestochen und ihr die Kehle durchtrennt zu haben.

Doch die Kriminaltechnik entwickelte sich weiter, und im Jahr 2012 kam das niedersächsische LKA nach ­einer DNA-Untersuchung von Sekretanhaftungen zu dem Schluss: Der Mann komme als Verursacher dieser Spermaspur in Betracht. Frederikes Vater kämpfte daraufhin für eine Gesetzesänderung, um einen neuen Prozess möglich zu machen. Für eine Petition sammelte er rund 180.000 Unterschriften, und die Große Koalition erweiterte § 362 StPO, der schon damals unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiederaufnahme zuungunsten eines Verurteilten erlaubte, um eine neue Nr. 5. Danach kann ein rechtskräftiger Freispruch überprüft werden, „wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe ­dafür bilden“, dass es nun doch zu einer Verurteilung wegen Mordes oder einer anderen unverjährbaren Tat nach dem VStGB kommt. Dieses „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ aus dem Dezember 2021 erntete heftige Kritik aus der Anwaltschaft. ­Unter Rechtswissenschaftlern scheiden sich freilich die Geister, inwieweit Art. 103 II GG, der nach seinem Wortlaut eine mehrfache Bestrafung verbietet, auch einer abermaligen Strafverfolgung entgegensteht.

Jedenfalls ordnete das LG Verden im Februar vergangenen Jahres auf Antrag der Staatsanwaltschaft Unter­suchungshaft an, die das BVerfG im Juli (und abermals im Dezember) 2022 mit 5:3 Stimmen gegen Auflagen aussetzte. Im selben Jahr verstarb Hans von Möhlmann; zuvor hatte er noch über einen Zivilprozess ­versucht, eine Verurteilung des Verdächtigen zu erreichen – was vor dem OLG Celle schon an der Verjährung scheiterte. In der Verhandlung über dessen Verfassungs­beschwerde unterstrich Vizepräsidentin Doris König, dass es vor allem darum gehe, ob das Verbot mehr­maliger Bestrafung „abwägungs- und damit änderungsfest“ gegenüber anderen Rechtsgütern von Verfassungs­rang sei. Auch eine etwaige Vereinbarkeit mit dem auf Art. 103 II GG fußenden Rückwirkungsverbot will der Zweite Senat prüfen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Während die Kalender der obersten Bundesgerichte und auch des EuGH in dieser Berichterstattungswoche noch äußerst blank sind, geht am OLG Celle vor dem Staatsschutzsenat ein Prozess wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia weiter. Laut Bundesanwaltschaft gehörte der Angeklagte zwischen 2003 und 2006 einem „Patrol Team“ (auch „Junglers“ genannt) der Streitkräfte an. Diese Einheit wurde von dem damaligen Staatspräsidenten für die Ausführung von Tötungsbefehlen eingesetzt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und die Opposition zu unterdrücken. Als Fahrer soll er an drei Liquidierungsaufträgen beteiligt gewesen sein. Dabei wurden ein Rechtsanwalt durch Schüsse schwer verletzt, ein regierungskritischer Journalist getötet sowie ein vermuteter Gegner des Staatsoberhaupts ermordet. Die Vorwürfe: Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 I 1 Nr. 1 VStGB), Mord und Mordversuch. Begonnen hat die Hauptverhandlung im April 2022. Die eigentlich schon geschlossene Beweisaufnahme soll nach neuen Anträgen am 2. und 3.11. fortgesetzt werden. 

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.