Schürfen im Web. Nicht jeder kennt den Begriff, betroffen sind viele: Scraping. Gemeint ist das händische oder automatisierte Auslesen fremder Daten im Internet, um sie dann für eigene Zwecke zu verwenden. Der BGH wollte sich am 8.10. mit zwei Klagen gegen Facebook befassen. Beide Nutzer warfen dem Netzwerk vor, es habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und somit gegen die DS-GVO verstoßen. Nun verlangten sie immateriellen Schadensersatz, weil sie „Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen“ (so der eine von beiden) bzw. (so der andere) einen „erheblichen Kontrollverlust“ erlitten hätten. Er verbleibe „in einem Zustand großen Unwohlseins und großer Sorge“, ergänzte Letzterer, zumal die Informationen über ihn in einem Hacker-Forum im Darknet gelandet seien. Zudem wollten die zwei feststellen lassen, dass die Muttergesellschaft Meta verpflichtet sei, ihnen alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen.
Doch im letzten Moment zogen beide Kläger ihre Revision zurück, wie der BGH am späten Nachmittag des 2.10. (und damit nach Redaktionsschluss der gedruckten NJW, in der diese "Agenda" ebenfalls erscheint) mitteilte. Wie in solchen Fällen üblich, machten die Karlsruher Richter dazu keine weiteren Angaben. Oft steckt eine "Flucht in die Revisionsrücknahme" dahinter – dann nämlich, wenn insbesondere Banken oder Versicherer einen für ihre jeweilige Branche ungünstigen Ausgang des Prozesses fürchten. Schon einmal hatte der Gesetzgeber versucht, dies zu erschweren; nun soll die vom Bundestag soeben beschlossene Einführung eines sogenannten Leitentscheidungsverfahrens dem entgegenwirken. Häufig kommt es nach einem Hinweisbeschluss des Gerichts, in dem es den Parteien seine vorläufige Rechtsauffassung mitteilt, zur Rücknahme des Rechtsmittels. Gerne werden dann von Unternehmen die Forderungen der Kläger erfüllt – verbunden mit einer Schweigepflicht (Non-disclosure agreement – NDA). Subtil hat sich die oberste Zivilinstanz bereits gegen diese dort ungeliebte Praxis gewehrt, indem sie etwa einen solchen Hinweisbeschluss veröffentlicht hat. Oder indem einer der beteiligten Richter einen Fachaufsatz veröffentlicht hat, der die Tendenz seines Senats offenlegte. Denn welcher Urteilsfinder arbeitet schon gerne für den Papierkorb oder lässt Geschäftspraktiken unbeanstandet, die er für Unrecht hält?*
Der Hintergrund des ersten Falls: 2021 wurden Daten von rund 533 Mio. Facebook-Nutzern aus 106 Ländern öffentlich im Web verbreitet. Unbekannte hatten sich zunutze gemacht, dass die Plattform es – allerdings in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers – möglich macht, dessen Profil mithilfe seiner Telefonnummer zu finden. Die Täter luden mit automatisierten Tools über die Kontakt-Import-Funktion von Facebook Rufnummern hoch, führten diese, sofern sie mit einem Nutzerkonto verknüpft waren, mit den dort verbundenen öffentlich zugänglichen Daten zusammen und griffen selbige anschließend ab. Bei diesem Betroffenen wurden dadurch Telefonnummer, Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Land und Geschlecht für jedermann (und nicht nur für seine „Freunde“ auf Facebook) sichtbar, bei dem anderen Rufnummer, Facebook-ID, Name, Wohnort, Land und sogar der Arbeitgeber. Das OLG Stuttgart sprach dem Mann im ersten Fall nur einen Anspruch auf Ersatz etwaiger künftiger Schäden zu. Im Gegensatz dazu schmetterte das OLG Köln die Forderungen des anderen Prozessführers komplett ab. Was die Domstadt-Richter offenbar zusätzlich störte: Der Kläger habe „lediglich mit Textbausteinen, die seine Prozessbevollmächtigten in einer Vielzahl von beim Senat anhängigen Verfahren in identischer Form verwendet haben“, pauschale Behauptungen aufgestellt.
Rechtsextremistischer Rechtsreferendar. Nach dem Bestehen der Ersten Juristischen Prüfung wollte ein Bewerber im Bezirk des OLG Bamberg sein Referendariat antreten. Doch wegen aktiver Mitgliedschaft in der Kleinstpartei „Der III. Weg“ sowie vorheriger Betätigungen für die NPD und die inzwischen verbotene Vereinigung „Freies Netz Süd“ habe er sich anhaltend verfassungsfeindlich betätigt, befand man dort. Das Ergebnis: Ablehnung wegen „charakterlicher Ungeeignetheit“. Das VG Würzburg und der VGH München stützten dies: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst gehabt. Dafür sei er ungeeignet, weil er darauf ausgegangen sei, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen bzw. zu beseitigen. Auch wenn „Der III. Weg“ nicht verboten sei, könne die Mitgliedschaft zu einer negativen Beurteilung führen. Das BVerfG half dem Politaktivisten im Eilverfahren wegen mangelnder Begründung ebenfalls nicht. Das BVerwG will am 10.10. über die von ihm zugelassene Revision urteilen – es handelt sich um keinen Einzelfall. Für den Nachwuchsjuristen dürfte dies freilich keine Bedeutung mehr haben. Denn in einer ungewöhnlichen Zwischenetappe hatte der VerfGH Sachsen ihn zum Vorbereitungsdienst zugelassen: Er hatte sich mittlerweile auch in Thüringen am OLG Jena sowie anschließend am OLG Dresden gemeldet, die ihn zwar beide ebenfalls nicht nehmen wollten. Doch die sächsischen Verfassungsrichter fanden die Abweisung trotz einer Änderung des Sächsischen JAG, die genau dies verhindern wollte, unverhältnismäßig: „Denn in diesem Fall würde der Zugang zu einem Beruf versperrt, für den der Bundesgesetzgeber geringere Zugangshürden normiert hat.“ Insofern dürfen die Anforderungen an die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst nicht höher sein als für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Mittlerweile praktiziert er als Rechtsanwalt.
*Transparenzhinweis: Dieser Absatz eingefügt sowie der Einstieg des Artikels geändert am 2.10.24, 17.45 Uhr. jja.
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