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Telemedizin
Renán Vicencio Uribe / Adobe
Telemedizin

Die Digitalisierung ist in vollem Gange: Immer mehr wird am Computer erledigt – selbst viele Treffen finden nur noch via Skype, Zoom & Co. statt. Eine private Krankenversicherung wirbt denn auch mit virtuellen Sprechstunden beim Arzt per Smartphone. Und der sitzt am Ausland. Der Bundesgerichtshof will nun klären: Ist das erlaubt?

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Chefredaktion, 30. Sep 2021.

Fernheilungen. Start-ups, die voll aufs Digitale setzen, gibt es nicht nur in der Rechtsberatung – auch in der Finanzbranche tummeln sich Gründer in Goldgräberstimmung. So in der Versicherungswirtschaft: Vor sechs Jahren gründeten drei Entrepreneure in München eine aufs Internet ausgerichtete Assekuranz, die mit einer Lizenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs­aufsicht private Krankenversicherungen anbietet. Das ließ das Herz mancher Patienten, aber auch einiger ­Juristen höher schlagen: Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs nahm eine der Dienstleistungen aufs Korn, die das Unternehmen Ottonova derzeit noch auf seiner Webseite präsentiert – Videosprechstunden per Handy mit Medizinern in der Schweiz.

Kecke Marketingsprüche wie: „Bleib einfach im Bett, wenn Du zum Arzt gehst“ brachten die deutschen Wettbewerbshüter auf die Palme. Untersuchungen, ­Diagnosen, E-Rezepte und sogar Krankschreibungen „von Erkältung bis zum Rippenbruch“ werden da angepriesen. Ein Chefarzt einer „virtuellen Gruppenpraxis“ berichtet über wundersame Erfolge: Als einen seiner eindrücklichsten Fälle beschreibt er die „Versorgung ­einer komplexen Wundinfektion über Videokonsultation ohne Komplikationen“. Der Patient – ein Manager – habe sich beim Karatetraining eine Schürfwunde zugezogen, die sich entzündet habe; doch aus Zeitmangel habe er nicht ins Krankenhaus gehen wollen, sondern unter Anleitung des Telemediziners selber ­Abstriche vorgenommen und ins Labor geschickt. Und eine ältere Dame habe sich während des Lockdowns mittels seiner Ratschläge ihre Rippe mit einem Tennisball selbst wieder eingerenkt. Wobei der Doktor die Fernbehandlung nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie als vorteilhaft schildert: „Bei der Untersuchung des Rachens mit der Smartphonekamera kann ich oft mehr und deutlicher erkennen als klassisch mit Funzel und Spatel.“

Das ging dem LG München I und dem dortigen OLG zu weit: Sie verboten die Werbung für digitale medi­zinische Konsultationen durch Ärzte aus dem Ausland – selbst wenn die Fernbehandlung als solche zulässig sei. Der BGH war sich da nicht so sicher und ließ die Revision zu, über die er am 7.10. verhandeln will. Bemerkenswert ist, dass der Bundestag während des Berufungsverfahrens mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (­Digitale-Versorgung-Gesetz) die Rechtsgrundlage reformiert hat. Trotzdem befanden die Oberlandesrichter, der Versicherer habe für eine „digitale ärztliche Primärversorgung“ durch Schweizer Behandler geworben, ohne dass die in der Bundesrepublik ansässigen Kranken dafür persönlich einbestellt würden. Und das verstoße sowohl gegen die alte als auch gegen die neue Fassung von § 9 HWG. Denn auch nach seiner Lockerung verbietet dieser „Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht“. Ausgenommen davon ist allerdings seitdem Reklame für die Verwendung von Kommunikationsmedien, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Diese Ausnahme wollten die bayerischen Richter nicht gelten lassen: Zumindest vor der Anpreisung solch weitgehender Angebote wie „Alles per App“ müssten Patienten geschützt bleiben. Schließlich stelle auch laut Deutschem Ärztetag deren physische Präsenz in der Sprechstunde den „Goldstandard“ dar.

Dies & das. Spärlich ist, was die anderen Bundesgerichte auf ihren Terminzetteln haben. Am BVerwG geht es in zwei Prozessen um Abgaben für die Beseitigung von Ab- und Schmutzwasser, am BFH um die gewerbe­steuerliche Hinzurechnung von Entgelten für Dauerschulden. Außerdem tagt am 8.10. der Bundesrat. Aber direkt nach den Bundestagswahlen ist keine spannende Tagesordnung zu erwarten: In ihren letzten Sitzungen vor dem Urnengang haben die Ländervertreter abgearbeitet, was die Große Koalition noch zuwege gebracht hat. Der Rest verschwindet im Orkus der Diskontinuität.