(Un-)Abhängige Justiz. Die Angelegenheit stand schon einmal auf der Terminrolle in Luxemburg, wurde dann aber kurzfristig und ohne Angabe von Gründen verschoben: Nun wollten die Europarichter eigentlich am 8.9. über den Rechtsstaat in Rumänien verhandeln. In einem Prozess vor dessen Oberstem Kassations- und Gerichtshof, der den Fall vorgelegt hat, geht es um ein Disziplinarverfahren gegen eine Richterin des Berufungsgerichts Bukarest; in vier weiteren Vorlagen des Kreisgerichts von Bihor um Strafverfahren etwa wegen Korruption – auch zu Lasten der EU-Finanzen. Beide Gerichte wollen unter Berufung auf das Unionsrecht Entscheidungen des rumänischen Verfassungsgerichts ignorieren, die einerseits die Zusammensetzung ihrer Spruchkörper betreffen, andererseits die Verwertbarkeit von Beweismitteln, die unter Mitwirkung des rumänischen Geheimdienstes erlangt worden seien (NJW-aktuell H. 23/2020, 6). Doch am 4.9. gaben sie überraschend – und wieder ohne Angabe von Gründen – bekannt: abermalige Verschiebung auf unbestimmte Zeit.
Karrieren in Serviceeinheiten. Mit dem Gehalt zweier Justizfachangestellten aus Berlin befasst sich am 9.9. das BAG. Bemerkenswert ist das Argument, mit dem sich das Land gegen die Klagen verteidigt: Die bisherige Rechtsprechung der obersten Arbeitsrichter zur Eingruppierung von Geschäftsstellenverwaltern greife in die Tarifautonomie ein. Absicht der Tarifvertragsparteien sei es gewesen, in Geschäftsstellen und Serviceeinheiten Aufstiegs- und Differenzierungsmöglichkeiten zu schaffen; dieses Tarifgefüge werde zerstört. Einer der Fälle betrifft eine Angestellte in einer Serviceeinheit an einem Berliner Amtsgericht, tätig im Sachgebiet Verkehrsstrafsachen, Bußgeldverfahren und Erzwingungshaftsachen. Unter Hinweis auf eine Liste mit elf Einzeltätigkeiten findet sie, ihr Tun bilde einen einzigen großen Arbeitsvorgang. Innerhalb dessen habe sie schwierige Verrichtungen in einem Umfang von etwas mehr als einem Viertel der Gesamtarbeitszeit zu erbringen – und darum Anspruch auf mehr Geld.
Gesetzgeber legt los. Mit einem Mammutprogramm meldet sich der Bundestag aus der Sommerpause zurück: Vom 9.–11.9. haben sich die Abgeordneten eine Reihe von Gesetzesbeschlüssen vorgenommen. Einige davon sind der aktuellen Pandemie geschuldet. So soll sogar das Grundgesetz geändert werden, um die Kommunen zu entlasten, deren Gewerbesteuereinnahmen wegen Corona eingebrochen sind. Art. 104a III GG wird dahingehend ergänzt, dass der Bund sich stärker an deren Ausgaben für Unterkunft und Heizung bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende beteiligen kann. Ein neuer Art 143h GG soll zudem einmalig eine pauschale Finanzspritze gestatten. Alle drei Lesungen will das Parlament in dieser Woche durchziehen. Begleitet wird das durch ein Gesetz, das diese Vorhaben umsetzt. Es reduziert zudem den Anteil, den die neuen Bundesländer an den Erstattungen tragen müssen, die die Rentenversicherung für ihre Zahlungen aufgrund der Zusatzversorgungssysteme der untergegangenen DDR erhält. Um die Aufstellung von Kandidaten für die nächste Bundestagswahl sicherzustellen, wird ferner das Wahlgesetz ergänzt, damit bei Naturkatastrophen oder Pandemien Kandidaten von den Parteien auch ohne eine Versammlung aufgestellt werden können.
Die von Justizministerin Lambrecht (SPD) betriebene Verkürzung der Wohlverhaltensphase für die Restschuldbefreiung wird erstmals beraten. Sie soll von prinzipiell sechs auf drei Jahre reduziert werden – und zwar über die EU-Vorgaben hinaus nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Verbraucher (NJW-aktuell H. 30/2020, 8). Eine von der Ressortchefin gewünschte Höchstfrist von einem Jahr für die Speicherung solcher Informationen durch Auskunfteien hat es allerdings nicht in den Regierungsentwurf geschafft. Auf der Agenda im Reichstagsgebäude stehen ferner unter anderem strengere Vorgaben für Ausweisfotos (NJW-aktuell H. 25/2020, 8), die Verdreifachung der Pauschale für rechtswidrige Freiheitsentziehungen auf 75 Euro pro Tag (NJW-aktuell H. 13/2020, 6), ein Abkommen zur Steuervermeidung durch multinationale Konzerne sowie die Sicherung von Rechten insbesondere britischer Bürger nach dem Brexit.