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Hat ein aktivistischer Familienrichter in der Corona-Pandemie Rechtsbeugung begangen, als er die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen an zwei Schulen verboten hat? Das LG Erfurt hat ihn verurteilt, weil er habe verschleiern wollen, dass er selbst eine entsprechende Antragstellerin gesucht und beraten habe. Der BGH entscheidet über die Revision. Und auch sonst hat die Justiz wieder allerhand zu tun.

21. Aug 2024

Übergriffig? Rechtsbeugung ist gleichsam ein Spezialdelikt für Richter und ein paar andere, ihnen in § 339 StGB gleichgestellte Schiedsrichter und Amts­träger. „Zu Rechtsbeugungsanklagen kommt es hier jedoch nur in ganz wenigen Fällen, wobei diese noch seltener auch zu Verurteilungen führen“, schreibt Martin Uebele im MüKoStGB. Bedeutung habe das Delikt fast ausschließlich nach politischen Systemwechseln erlangt, nämlich in der Auseinandersetzung mit dem Justiz­unrecht in der NS-Diktatur und in der DDR. Am 28.8. widmet sich der 2. BGH-Strafsenat einem aktuellen Fall – zumal einem, der auch in den allgemeinen Medien Schlagzeilen machte. Er spielte in der Hochphase der Corona-Pandemie, als insbesondere sogenannte Querdenker gegen die staatlich verhängten Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung mobil machten. Ein damaliger Familienrichter des AG Weimar ­untersagte im April 2021 per einstweiliger Anordnung den Leitungen und Lehrkräften zweier Schulen, einzelne Vorgaben zur ­Infektionsvorbeugung – nämlich das Tragen von Atemmasken, das Einhalten von Mindestabständen und das Durchführen von Schnelltests – gegenüber den dort unterrichteten Kindern durchzusetzen. Auch politisch war er mit dieser Zielrichtung aktiv, etwa auf „Montags-Spaziergängen“; in seinen Verhandlungen forderte er laut „taz“ die Anwesenden auf, keine Mund-Nasen-Bedeckung zu nutzen.

Das LG Erfurt befand im vergangenen August nach zahlreichen Hausdurchsuchungen (seinen alten Computer hatte der Richter vorsichtshalber zerstört): Die Absicht, öffentlichkeitswirksam eine entsprechende Entscheidung zu treffen, habe Christian D. bereits Anfang des Jahres gefasst. Deshalb habe er zielgerichtet Eltern mit den passenden Anfangsbuchstaben im Nachnamen gesucht, damit ein Verfahren wegen „Kindeswohlgefährdung“ (§ 1666 BGB) in seinen Zuständigkeitsbereich gelange. Ähnlich sei er bei der Auswahl der Gutachter vorgegangen. Sodann habe er über die von ihm mitbearbeitete Anregung einer Antragstellerin entschieden. Das Verdikt: eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung.

Den Strafrichtern ging es dabei nicht um die Quasi-Amtsanmaßung des Angeklagten, wenngleich das OLG Jena – sowie später der BGH – seine Beschlüsse ­kassierten und das örtliche VG die staatlichen Ver­fügungen (unter ausdrücklicher Missbilligung seines ­familiengerichtlichen Entscheids als „ausbrechendem Rechtsakt“) akzeptierte. Vielmehr sei der 60-Jährige schuldig, weil er habe verschleiern wollen, dass er an der Vorbereitung des entsprechenden Gerichtsverfahrens zugunsten einer Mutter und ihrer beiden Kinder unmittelbar beteiligt gewesen war. „Er hat dafür das ihm übertragene Richteramt zielgerichtet benutzt und damit missbraucht“, heißt es in dem Urteil. Vorläufig wurde er schon vorab vom Richterdienstgericht Meiningen seines Amtes enthoben. Falls nun auch der BGH gegen ihn entscheidet, endet nach § 24 I Nr. 1 DRiG sein Richterdienst automatisch, weil dann eine Vorsatztat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr und somit ein Verbrechen vorläge. Sicher ist der Ausgang aber nicht: So sehen die Juraprofessorinnen Elisa Hoven und Frauke Rostalski hier keine Straftat (NStZ 2024, 65). Und D.’s Verteidiger Gerhard Strate nannte die Vorwürfe „abwegig“.

Allerhand mehr. Das BVerwG klärt am 29.8., wann die Bezeichnungen „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ erlaubt sind. Vorsichtshalber hat es sich im vergangenen November Wegweisungen vom EuGH eingeholt. Am selben Tag verhandelt er über die Sprungrevision einer ausgebildeten Podologin, die eine auf dieses Gebiet begrenzte Heilpraktikererlaubnis begehrt. Das BAG befasst sich am 28.8. in zwei Verfahren mit Auswirkungen einer Freistellung für Betriebsratstätigkeit während der üblichen Bürozeiten auf den Zulagenanspruch im Rettungsdienst. Und das BSG fragt sich am selben Tag in zwei Fällen, ob ein im Rahmen eines Jobsharings zugelassener Arzt in einer Berufsausübungsgemeinschaft zu berücksichtigen ist, wenn sich eine Praxis mit über 1.200 Behandlungsfällen einen Aufschlag auf die Zusatzpauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags wünscht.

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Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.