Freiwillige SMS-Lektüre. „Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in seiner Freizeit erreichbar sein will oder nicht.“ So schön hat es einst das LAG Thüringen formuliert. So prosaisch, dass das LAG Schleswig-Holstein diese Sentenz in einem Urteil wiederholt hat (NZA-RR 2022, 624), über das das BAG am 23.8. entscheiden will. Begründet hat es damit – im Gegensatz zum ArbG Elmshorn in der Vorinstanz – den Prozesserfolg eines Notfallsanitäters, der sich 11,75 Arbeitsstunden gutschreiben lassen wollte. Deren Anerkennung hatte der Arbeitgeber verweigert, weil der Mann zweimal eine kurzfristige Änderung seines Dienstplans erst nach dem regulären Schichtbeginn zur Kenntnis genommen hatte – zu spät für die angeordneten Verschiebungen von Einsatzort und Uhrzeit. Telefonisch war der als Springer eingesetzte Retter jeweils nicht erreichbar gewesen, und auf die daraufhin verschickten Kurznachrichten aufs Handy (SMS) reagierte er erst verspätet. Seine Begründung: Das Mobiltelefon habe er zwischen den Dienstzeiten lautlos gestellt, um sich um die Kinder kümmern zu können.
Doch da spielten die Oberrichter in Kiel nicht mit. Mit einem Ausflug ins 1. Semester des Jurastudiums erinnerten sie daran, dass gemäß § 130 BGB eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam wird – egal ob in Briefkasten, Postfach, E-Mail-Postfach oder auf dem Anrufbeantworter; aber erst dann, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist. Den Zugang der Dienstplanänderungen, mit denen der Rettungsdienstbetreiber sein Direktionsrecht konkretisiert habe, habe dieser aber nicht nachweisen können. Schließlich sei der Lebensretter nicht verpflichtet gewesen, „während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen“. Denn dabei handele es sich um Arbeitszeit: „Der Kläger erbringt mit dem Lesen eine Arbeitsleistung.“
Auch
sonst fand die Kammer eindrucksvolle Worte fürs Poesiealbum von
Werktätigen. In seiner Freizeit stehe dem Mitarbeiter ein „Recht auf
Unerreichbarkeit“ zu. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass
Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen müssten. „In dieser Zeit müssen
sie gerade nicht fremdnützig tätig sein und sind nicht Bestandteil einer
fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren
nicht als Arbeitskraft.“ Dem stehe auch der „zeitlich minimale
Aufwand“, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden sei, nicht
entgegen: „Arbeit wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in
zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt.“ Schließlich gehe es sowohl
um Gesundheits- wie Persönlichkeitsschutz.
Drogendeals im Cyberbunker. Mit einem der bisher spektakulärsten Fälle illegaler Aktivitäten im Internet befasst sich am 24.8. der BGH. Das LG Trier hat sieben Männer und eine Frau wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu Haftstrafen von bis zu fünf Jahren und neun Monaten vergattert. Auch zog es knapp 750.000 Euro als mutmaßliche Taterträge ein. Das Oktett (teilweise ein Familienunternehmen) soll ein hochgesichertes Rechen- und Datenverarbeitungszentrum in einer früheren Nato-Bunkeranlage nahe der Mosel betrieben haben. Die unterirdische IT-Infrastruktur soll es gegen Entgelt den Betreibern illegaler Handelsplattformen zur Verfügung gestellt haben, darunter die nicht nur in Drogenhandel verwickelten Darknet-Marktplätze „Wall Street Market“ und „Fraudsters“. Die technische Ausstattung mit Hunderten von Servern war demnach auf eine anonyme, vor staatlichem Zugriff geschützte Nutzung ausgerichtet. Vor der Razzia hatten die Einsatzkräfte die rund um die Uhr emsigen Angeklagten mit einer List in eine Gaststätte gelockt. Nach der Überzeugung der Strafkammer wussten sie über die kriminellen Aktivitäten ihrer Kunden Bescheid. Sie pochen in der Revision auf die Haftungsprivilegierung nach § 10 TMG und der europäischen E-Commerce-Richtlinie. Die Staatsanwaltschaft wünscht sich hingegen eine Verurteilung überdies wegen Teilnahme an den Delikten der Plattform-Nutzer selbst.