Vorratskündigungen. Einen „im Insolvenzarbeitsrecht in der Praxis wohl bekannten Drahtseilakt“ nennen Alexander Bissels und Julia Menke (NZI 2023, 450) das Vorgehen, das BAG spricht in seiner Ankündigung des Verfahrens von einem „kleinen Schleppnetzantrag“. Dessen Reichweite will es am 17.8. neben der Anwendung einer InsO-Vorschrift prüfen. Geklagt hat ein ehemaliger Beschäftigter eines Stahlunternehmens, das im März 2020 pleite ging. Weil Gespräche unter anderem mit einem chinesischen Investor scheiterten, beschloss der Gläubigerausschuss eine „geordnete Ausproduktion“ bis Ende Mai des Folgejahrs. Der Insolvenzverwalter vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und kündigte zu diesem Termin hin sämtliche Arbeitsverhältnisse. Doch dann zeigte sich ein Lichtstrahl: Im Februar 2021 konnte er Teile des Betriebs an dessen Hauptkunden verkaufen.
Da wollte der Ex-Mitarbeiter nicht leer ausgehen. Er macht geltend, die Entlassungen seien nur auf Vorrat ausgesprochen worden für den Fall, dass die Verhandlungen mit möglichen Erwerbern scheiterten – eine endgültige Stilllegungsabsicht habe gar nicht bestanden. Der Verwalter hingegen bekundet, die Käufer hätten erst vier Wochen nach Unterzeichnung von Interessenausgleich und Kündigungen ihre Wünsche bekundet. Vor dem ArbG Dortmund scheiterte der geschasste Stahlwerker mit seinen Anträgen auf Kündigungsschutz, vor dem LAG Hamm obsiegte er hingegen. Und zwar gleich doppelt: Der temporäre Firmenlenker hatte vorsorglich das Integrationsamt eingeschaltet, weil sich der Kläger eine Schwerbehinderung bestätigen lassen wollte, und abermals dessen Rauswurf ausgesprochen. Die ordentliche Kündigung sahen die Oberrichter nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Das sei zwar nach § 125 I 1 Nr. 1 InsO zu vermuten, „wenn eine Betriebsänderung iSv § 111 BetrVG geplant ist und zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind“. Doch müsse der Verwalter belegen, dass tatsächlich eine Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Teilen desselben geplant war. Und davon, dass der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Entlassung schon „ernsthaft und endgültig“ zur Stilllegung entschlossen gewesen sei, war die Kammer nicht überzeugt.