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Wer gesundheitlich angeschlagen ist, kann nach dem SGB VI „Leistungen zur Teilhabe“ vom Rentenversicherungsträger bekommen – beispielsweise um wieder ins Arbeitsleben eingebunden zu werden. Das BSG untersucht in vier Fällen die Voraussetzungen dafür. Und klärt, wann stattdessen die Bundesagentur für Arbeit für die Wiedereingliederung zahlen muss.

31. Jul 2024

Teilhabe. In den meisten Bundesländern haben die Schüler und Schülerinnen Ferien, was auch deren Eltern die Chance auf eine gemeinsame Urlaubsreise ­beschert – oder den Stress, die Kids beschäftigt zu ­halten, ohne vor irgendeinem Monitor zu versacken. Das lässt die Terminkalender unserer obersten Bundes­gerichte gähnend leer aussehen. Doch obwohl dann Hessen mitten in der Zeit der Unterrichtspause steckt, widmet sich das BSG in Kassel am 8.8. in vier Fällen vorrangig einer einzigen Vorschrift im SGB VI, das mit über 300 Paragrafen das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung regelt. Dessen § 11 regelt die Voraussetzungen für „Leistungen zur Teilhabe“. Deren Ziele sind nach § 9 SGB VI Prävention, medizinische Rehabilitation, die Einbindung ins Arbeitsleben und die Nachsorge. Ferner zählen dazu „ergänzende Leistungen“, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit „vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden“; außerdem solche, die Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit oder ein vorzeitiges Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben verhindern oder diese möglichst dauerhaft wieder in das Erwerbsleben eingliedern sollen. Doch Achtung: „Die Leistungen zur Prävention haben Vorrang vor den Leistungen zur Teilhabe. Die Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind.“

Alle vier Verfahren kommen vom LSG Bayern und werfen zahlreiche Fragen auf. In drei davon geht es insbesondere darum, ob Voraussetzung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 11 IIa Nr. 1 SGB VI eine Prognose ist – und zwar dahingehend, dass der Versicherte dadurch voraussichtlich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt werden kann. Davon hängt ab, ob die Bundesagentur für Arbeit zahlen muss oder der Rentenversicherungsträger. Einer der Betroffenen hatte sich in den Jahren 2009 und 2010 mehrfach in stationären Behandlungen wegen einer schweren depressiven Störung mit psychotischen Symptomen befunden. Im Juli 2011 beantragte er Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Haken aus Sicht der Münchener Richter: Die gewünschte Maßnahme war darauf ausgerichtet, dass der Mann im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (Sozialrechtler sprechen meist nur von einer WfbM) eingegliedert wurde. Eine Aussicht auf eine Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt habe hingegen nicht bestanden, und somit liege kein Rehabilitationsziel der gesetzlichen Rentenversicherung vor. Die Folge: Die Bundesagentur blieb auf ihren Ausgaben sitzen.

In einem anderen Verfahren konnte die Nürnberger Behörde ebenfalls keine Erstattung durchsetzen. Immerhin ging es um fast 50.000 Euro für die Tätigkeit in einer WfbM. Eine Wiedereingliederung des Versicherten in den allgemeinen Arbeitsmarkt könne „faktisch als so gut wie ausgeschlossen betrachtet“ werden, befanden die Richter an der Isar. Der Lagerhelfer mit einem GdB von 60 litt unter starken Stimmungsschwankungen und hatte mehrere Praktika abgelehnt; ein Facharzt attestierte ihm eine schwere Lernbehinderung bei grenzwertig normaler Intelligenz. Dieser empfahl daher eine Aufnahme in einer Behindertenwerkstatt, die dann allerdings vorzeitig abgebrochen werden musste: „Er könne sich den Probanden beim besten Willen, nach Exploration, Testung und den vorliegenden Einschätzungen, nicht dauerhaft auf dem ersten Arbeitsmarkt vorstellen“, schrieb der Mediziner. Leer ging die Arbeitsagentur gleichfalls bei einer gelernten Bäckereifachverkäuferin aus, die sodann ganz unterschiedliche Jobs ausübte. Auch hier erklärte sich der Rentenversicherungsträger für unzuständig und schrieb, eine Maßnahme in einer WfbM sei angezeigt. Denn es sei nicht zu erwarten, dass dadurch eine Verbesserung der Erwerbsprognose eintrete.

Das vierte Verfahren befasst sich mit dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Antrag auf Teilhabeleistungen und einem Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sämtliche Fälle betreffen zudem etwaige Ansprüche auf Leistungen zur Prävention (§ 14 SGB VI).

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Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.