Gutachter. Wie weit kann jemand gehen, der einem medizinischen Gutachter misstraut? Das will das BSG am 15.6. im Fall eines Schwerbehinderten klären, der sich gegen die Herabsetzung seines Grads der Behinderung (GdB) durch das Versorgungsamt wehrt. Der Gas- und Wasserinstallateur war zu handwerklichen Tätigkeiten nicht mehr in der Lage, nachdem ihm im Jahr 2011 ein gutartiger Tumor aus der rechten Schulter entfernt worden war, und wurde daraufhin Energieberater. Vor dem SG Osnabrück erstritt er sich eine Einstufung mit GdB 50. Nach einer Befragung des Ärztlichen Diensts stufte die Behörde ihn dann 2016 auf GdB 20 herab. Dagegen ging er abermals vor und machte nun außerdem Beschwerden in Hals- und Lendenwirbelsäule, in beiden Knien und mit den Augen sowie im Hals-Nasen-Ohren-Bereich (beidseitige Schwerhörigkeit nebst Tinnitus) geltend, außerdem diverse Allergien mit lebensbedrohlichen Reaktionen. Die erneut angerufenen Sozialrichter im südwestlichen Niedersachsen bestellten daraufhin bei einem Orthopäden ein Gutachten. Der ließ sich jedoch entpflichten, weil der Kläger zum Termin seine Tochter mitgebracht und auf ihrer Anwesenheit während der gesamten Untersuchung bestanden hatte: Die Anwesenheit Dritter dabei stoße bei ihm prinzipiell auf erhebliche Bedenken, da die Erhebung objektiver Befunde erschwert werde. Daraufhin beauftragte das Gericht einen anderen Sachverständigen. Bei dem erschien der Mann in Begleitung seines Sohns, woraufhin auch dieser Experte die Arbeit verweigerte: Durch die Anwesenheit einer Begleitperson entstehe eine „Zeugenungleichheit“.
Nun wurde es dem SG zu bunt – es wies die Klage kurzerhand ab, weil eine „Heilungsbewährung“ eingetreten sei. In der Berufung forderte der Kläger hilfsweise, einen von ihm benannten Arzt zum Sachverständigen zu bestellen (§ 109 SGG). Das lehnte das LSG Niedersachsen-Bremen jedoch ebenfalls ab: Der Antrag sei rechtsmissbräuchlich, weil der Behinderte eine weitere Aufklärung vereitelt und dadurch die Beweislast umgedreht habe.
Belegschaftsvertreter. Die Rechte von Betriebsräten präzisiert das BAG am 14.6. in zwei Verfahren. So verlangen die Belegschaftsvertreter einer Berliner Kaffeehauskette wegen ihrer unterlassenen Beteiligung die Aufhebung von 39 Versetzungen und 42 Einstellungen. Sie hatte ihre Filialen neu auf ihre „Distrikte“ in der Bundeshauptstadt aufgeteilt und darin keine Versetzungen gesehen. Anders das dortige LAG: Die betroffenen Arbeitnehmer seien immerhin aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen zugewiesen worden. Das zweite Verfahren betrifft die Versetzung einer Mitarbeiterin eines privaten Eisenbahnverkehrsunternehmens auf eine Stabsstelle als Leiterin Betriebsmanagement in der Zentrale. Der Betriebsrat Niedersachsen/Bremen war gehört worden, aber nicht der für NRW zuständige. Der findet es unerheblich, dass der neue Arbeitsort der Frau außerhalb seines regionalen Zuständigkeitsbereichs liegt: Die von ihm vertretenen Mitarbeiter an Rhein und Ruhr hätten schließlich die von ihr erstellten Regelungen und Anweisungen einzuhalten. Das aber reichte dem LAG Niedersachsen nicht.
Verfassungsstreitigkeiten. Hat Angela Merkel als Bundeskanzlerin ihre im Staatsamt gebotene Neutralitätspflicht im parteipolitischen Meinungskampf verletzt? Das will die AfD vom BVerfG feststellen lassen (NJW-aktuell H. 29/2021, 6). Sie hatte im Februar 2020 von Südafrika aus gefordert, die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich auch durch CDU-Abgeordnete zum Ministerpräsidenten von Thüringen rückgängig zu machen, weil Parlamentarier der Rechtsaußen-Partei ebenfalls für ihn votiert hatten. Der Zweite Senat verkündet am 15.6. seinen Entscheid. Am Tag zuvor verhandelt das Richteroktett darüber, ob die Bundesregierung das Parlament unzureichend über die „Operation Sophia“ unterrichtet hat, bevor sie im EU-Ministerrat abstimmte. Im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte damit das Geschäftsmodell der Schleuser im Mittelmeer zerschlagen werden. Grüne und Linke haben ein Organstreitverfahren eingeleitet.
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