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Über eine Großoffensive der EU-Kommission für sauberere Luft entscheidet der Europäische Gerichtshof: In 26 Städten und Regionen soll Deutschland gegen Vorgaben aus Brüssel verstoßen haben. Und auch über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn fällen die Europarichter (wieder einmal) ein Urteil.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 26. Mai 2021.

Dicke Luft. Gut Ding will Weile haben – zumal wenn es um Großes geht. Vor ziemlich genau drei Jahren hat die EU-Kommission Deutschland auf sauberere Luft verklagt. Am 3.6. will der EuGH nun sein Urteil dazu sprechen; eine Stellungnahme eines Generalanwalts gibt es nicht. Die Brüsseler Rechtshüter meinen: Die Bundesrepublik habe seit 2010 die Jahres- und Stundengrenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) in 26 Gebieten „systematisch und fortdauernd“ überschritten. Das verstoße gegen Art. 13 I iVm Anhang XI der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für ­Europa. Zudem habe sie es entgegen Art. 23 I 1 Unterabs. 2 und 3 iVm Anhang XV der Richtlinie versäumt, in die dortigen Luftqualitätspläne Maßnahmen aufzunehmen, um den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten. Die Liste der monierten Städte, Ballungsräume und Regierungsbezirke ist stattlich: Berlin, Stuttgart, Tübingen, Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe, Mannheim/Heidelberg, München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Mittel- und Nordhessen, Rhein-Main, Kassel, Hamburg, Grevenbroich (Rheinisches Braunkohlerevier), Köln, Düsseldorf, Essen, Duisburg, Oberhausen, Mülheim, Hagen, Dortmund, Wuppertal, Aachen, urbane Bereiche und ländlicher Raum in Nordrhein-Westfalen, Mainz, Worms/Frankenthal/Ludwigshafen sowie Koblenz/Neuwied.

Das Verfahren ist Teil einer Großoffensive: Am 18.5.2018 teilte die Brüsseler Behörde mit, sie habe an diesem Tag außerdem Klage gegen Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich eingereicht. Teilweise geht es wie auch im Fall Deutschlands um Stickstoffdioxid, teilweise um anhaltend hohe Feinstaubwerte (PM10). Insgesamt seien sogar 13 Vertragsverletzungsverfahren wegen überhöhter NO2-Konzentrationen anhängig und 16 in Sachen PM10, doch die anderen seien noch nicht vor den Gerichtshof gebracht worden.

Gefährdete Grundwerte. Um die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn geht es am selben Tag in Luxemburg. Die Europarichter wollen ihr Verdikt über eine Klage des Donaulands sprechen. Dessen Regierung nimmt Anstoß daran, dass das Europäische Parlament im Jahr 2018 den Rat der Staats- und Regierungschefs aufgefordert hat, die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Grundwerte“ festzustellen – insbesondere mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz, auf Meinungsfreiheit, Korruption, die Rechte von Minderheiten sowie die Situation von Migranten und Flüchtlingen. 448 Abgeordnete votierten für diesen Antrag gemäß Art. 7 I EUV; es gab 197 Gegenstimmen und 48 Enthaltungen. Mit absoluter Mehrheit der Mitglieder und zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen sei der Beschluss angenommen worden, gab das Parlament anschließend bekannt. Womit es erstmals in seiner Geschichte diesen Schritt gegen einen Mitgliedstaat unternommen habe.

Die Regierung in Budapest plädiert vor dem EuGH auf Nichtigerklärung dieser Entschließung. Insbesondere rügt sie die Art und Weise, wie die Stimmen ausgezählt wurden. So seien unter Verstoß gegen den AEUV und die Geschäftsordnung des Parlaments ausschließlich die Ja- und die Nein-Stimmen berücksichtigt worden – wären die Enthaltungen mitgezählt worden, wäre das Ergebnis anders ausgefallen. Generalanwalt Michal ­Bobek hat das freilich nicht überzeugt. In seinen Schlussanträgen führte er aus, aus sprachlicher Sicht schlössen sich „Stimmenthaltung“ und „abgegebene Stimmen“ gegenseitig aus: Während eine Person, die sich der Stimme enthalte, bei der Auszählung nicht als jemand berücksichtigt werden wolle, der für oder gegen einen Antrag sei (und den Wunsch habe, so behandelt zu werden, als ob er oder sie überhaupt nicht an der Abstimmung teilnehme), bedeute „abgegebene Stimme“, dass jemand seiner Meinung aktiv Ausdruck verliehen habe, indem er bei der Abstimmung für oder gegen einen Antrag votiert habe. Damit sei die Klage unbegründet, so Bobek. Zulässig hingegen sei sie sehr wohl: So verliere der betroffene Mitgliedstaat bereits mit Einleitung eines solchen Verfahrens – also schon vor dem Ratsbeschluss – in Asylsachen den Status als sicheres Herkunftsland.