Gestritten. Manche Arbeitnehmer klagen über Stress oder Burnout im Job, andere umgekehrt über chronische Unterforderung (Boreout). Wann psychische Belastungen am Arbeitsplatz sogar zur Anerkennung als Arbeitsunfall führen können, will das BSG am 6.5. in zwei Fällen ausbuchstabieren. Im einen Fall hat eine Bankkauffrau gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung geklagt. Sie war nach einem Streit mit einem Vorgesetzten mit einem Herzstillstand auf ihrem Schreibtischstuhl zusammengebrochen; ein Notarzt konnte sie wiederbeleben. Im Krankenhaus bekam sie gegen die Herzrhythmusstörungen einen Defibrillator eingesetzt. Gegenüber der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gab sie zunächst an, am Tag ihres Kollapses habe „keine besondere arbeitsseitige Belastung“ bestanden, doch dann pochte sie auf eine Anerkennung als Arbeitsunfall: Der Tag ihrer Herzattacke sei sehr stressig mit viel Kassengeschäft gewesen. Zudem verwies sie auf ein kontroverses Gespräch mit dem Stellvertreter ihrer Abteilungsleiterin – sie hatte einen Kollegen in Schutz genommen, bei dem eine Kassendifferenz festgestellt worden war, und wollte eine Meldung an den Gebietsleiter verhindern. Der Vize-Chef sagte jedoch vor dem LSG Schleswig-Holstein aus, zwischen ihm und der Frau seien „unterschiedliche Standpunkte in sachlichem und angemessenen Ton ausgetauscht worden“. Dabei habe die Klägerin allerdings sichtlich erregt reagiert. Das Gespräch endete nach seinen Aussagen „unschön, unharmonisch und frostig“, aber so etwas sei Alltagsgeschäft im Vertriebsbereich – gerade montags und zum Monatswechsel.
Die Richter in Schleswig wiesen die Klage ebenso wie zuvor das dortige SG ab. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mangele es bereits am Tatbestandsmerkmal eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses. Zwar könne auch eine geistig-seelische Einwirkung genügen. Hierfür würden in der Rechtsprechung aber nur Extremsituationen wie Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafte Streitigkeiten mit Vorgesetzten oder extrem belastende Personalgespräche anerkannt. Verbale Differenzen hingegen seien überall anzutreffen – „in jedem Beruf, im Straßenverkehr und im privaten Bereich“.
Geschockt. Das zweite Verfahren in Kassel an dem Tag betrifft einen ehemaligen Rettungssanitäter. Er leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die er auf Erlebnisse während seiner Einsätze zurückführt; so sei er beim Amoklauf von Winnenden und bei zwei Suiziden vor Ort gewesen. Das LSG Baden-Württemberg kam jedoch zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“ nicht gegeben seien. Zwar sei das Vorliegen einer PTBS unstreitig. Doch könne nicht festgestellt werden, dass er einer Personengruppe angehöre, die diesbezüglich einem signifikant höheren Risiko einer beruflichen Verursachung ausgesetzt sei. Auch gebe es keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine neue „Listen-BK“ durch den Verordnungsgeber begründen könnten.
Gebissen. Ein bisschen verwandt damit ist der Prozess eines ehemaligen Bundespolizisten, den das BVerwG am 6.5. abschließen will. Der Ex-Beamte wendet sich dagegen, dass die Anerkennung eines Dienstunfalls zurückgezogen wurde – und damit auch die Gewährung von Unfallausgleich und Unfallruhegehalt sowie die Erstattung von Heilbehandlungskosten. Er war auf dem Sportplatz der Bundespolizeischule Bad Endorf im Jahr 2008 im Bereich der linken Kniekehle von einer Zecke gebissen worden. Wegen einer heftigen Arthritis in zahlreichen Gelenken bescheinigte ihm die Bundespolizeiakademie eine 100-prozentige Erwerbsunfähigkeit. Doch die Bundesfinanzdirektion Mitte kippte diesen Bescheid: In Wirklichkeit liege eine „dienstunabhängige, degenerative Vorschädigung der betroffenen Gelenke bzw. ein anlagebedingtes Leiden“ zugrunde. Die Leipziger Bundesrichter müssen nun klären, wieweit die Bindungswirkung reicht.