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Die Termine der 12. Kalenderwoche
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Wenn Richter sich zu viel Zeit lassen, müssen Bürger das nicht hinnehmen – seit zehn Jahren gibt es ein eigenes Gesetz, nach dem man in Extremfällen sogar eine Entschädigung verlangen kann. Am Bundessozialgericht und am Bundesfinanzhof geht es jetzt um drei solcher Fälle. Die obersten Verwaltungsrichter von Bayern werfen dem Bundesverwaltungsgericht vor, seine Kompetenzen zu überschreiten („ultra vires“). Und mit dem Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) befasst sich der Europäische Gerichtshof.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 18. Mrz 2022.

Lange Prozesse. Neulich hatte es seinen zehnten Geburtstag: das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“. Vorausgegangen war ein Urteil des EGMR, das Deutschland zur Einführung eines wirksamen Rechtsbehelfs verpflichtet hatte. Den gibt es seither in 22 Gesetzen – in den großen Verfahrensordnungen wie der ZPO, aber auch etwa im BVerfGG, dem Patentgesetz und der Wehrbeschwerdeordnung (und mit dem Umweg über das GVG auch in der StPO). In unserer Berichterstattungswoche befassen sich das BSG und der BFH mit solchen Fällen.

So klagt vor den obersten Sozialrichtern ein Mann auf eine Entschädigung von 1.600 Euro nebst Zinsen. Er hatte Anfang September 2012 vor dem SG Kiel seine Berufsgenossenschaft auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Anspruch genommen, was die Richter im Februar 2014 abwiesen. Für die alsbald eingelegte Berufung beim LSG baten seine Bevollmächtigten mehrfach um eine Fristverlängerung, bis sie im Oktober die Begründung einreichten; der Unfallversicherer nahm umgehend dazu Stellung. Sodann herrschte beim Senat trotz einer Nachfrage Stillstand der Rechtspflege. Nach einer Verzögerungsrüge im April 2016 setzte er für den Herbst eine mündliche Verhandlung an; im November wies er schließlich die Forderung ab. Das seien insgesamt 33 Monate an Untätigkeit gewesen, findet der Anspruchsteller – und damit deutlich mehr als die vom BSG erlaubten zwölf Monate.

Das will nun am 24.3. zweierlei klären: Ist die nicht verbrauchte Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts einer Instanz mit den inaktiven Zeiten einer anderen zu verrechnen („instanzübergreifende Verrechnung“)? Und inwieweit sind die Monate zwischen Anberaumung und Durchführung der mündlichen Verhandlung einzubeziehen? In einem Verfahren des LSG Berlin-Brandenburg geht es in Kassel außerdem darum, ob eine längere Krankheit des Vorsitzenden Richters mitzählt. Und der BFH prüft am 23.3. einen Prozess vor dem FG München, der volle drei Jahre dauerte.

„Ultra vires“. Den Vorwurf, ein Gericht habe seine Kompetenzen überschritten, hat bekanntlich das BVerfG einmal dem EuGH gemacht. Nun spricht auch der VGH München ausdrücklich davon – meint damit aber das BVerwG. Anlass ist der Rechtsstreit eines Vermieters von zwei Dachgeschosswohnungen an Touristen, der die Nürnberger Zweckentfremdungssatzung kippen will. Die bayerischen Richter verwarfen seinen Normenkontrollantrag ohne mündliche Verhandlung, weil sie ihm das Rechtsschutzbedürfnis absprachen. Das beanstandeten die Leipziger Kollegen rundum und verwiesen den Fall zurück. Doch in München blieb man standhaft. Die robuste Begründung: Für das Ermessen bei der Entscheidung über eine mündliche Verhandlung komme es auf die Sicht der ersten Instanz an – also die eigene. Sie könne nur beanstandet werden, wenn sie auf sachfremden Erwägungen oder auf grober Fehleinschätzung beruhe. „Eine Entscheidung des BVerwG, die diese Vorgaben nicht beachtet, greift in gesetzeswidriger Weise nicht nur in das dem OVG durch § 47 V 1 VwGO ausdrücklich eröffnete Verfahrensermessen, sondern auch in den Grundsatz freier richterlicher Überzeugungsbildung (§ 108 I 1 VwGO) über“, heißt es in den Leitsätzen: „Sie kann deshalb als Rechtsakt ultra vires die in § 144 VI VwGO grundsätzlich intendierte Bindungswirkung nicht entfalten.“ Am 25.3. wollte sich das BVerwG damit auseinandersetzen, hat den Termin aber inzwischen kurzfristig abgesetzt.

„Ne bis in idem“. Das Verbot der Doppelbestrafung, das angesichts der jüngsten Reform von § 362 StPO wieder für Diskussionen sorgt (NJW-aktuell H. 11/2022), gilt auch im europäischen Recht. Der EuGH befasst sich am 22.3. mit einer Vorlage des Obersten Gerichtshofs von Österreich. Der fragt, ob es sich auch dann um „das gleiche geschützte Rechtsgut“ handelt, wenn die Wettbewerbsbehörden zweier Mitgliedstaaten für denselben Sachverhalt und in Bezug auf dieselben Personen neben nationalen Rechtsnormen auch dieselben europäischen Regeln (nämlich Art. 101 AEUV) anzuwenden haben.