Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 16/2020 vom 13.08.2020
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Sachverhalt
Die Antragstellerin war beigeordnete Rechtsanwältin in einem sozialrechtlichen Verfahren. Nach Akteneinsicht begründete sie die Klage ihres Mandanten. Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Antragstellerin machte anschließend ihre Vergütung geltend, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für 451 Ablichtungen in Höhe von 85,15 EUR. Die Antragstellerin versicherte rechtsanwaltlich, dass die geltend gemachten Auslagen während der Beiordnung entstanden seien. Die gefertigten Ablichtungen reichte sie zunächst nicht ein.
Die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle erwiderte, es fehle es an einem Nachweis der Notwendigkeit der Kopien. Der Rechtsanwalt müsse sein Ermessen ausüben und dürfe nicht kurzerhand die gesamten Akten ablichten lassen. Die Antragstellerin führte aus, ihr stehe hinsichtlich der Erforderlichkeit der Ablichtungen ein Beurteilungsspielraum zu, von dem sie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsanschauung und der Waffengleichheit Gebrauch gemacht habe. Bei den gefertigten Ablichtungen handle es sich nicht um den gesamten Akteninhalt. Im Zweifel sei ohnehin von der Erforderlichkeit der Ablichtungen auszugehen.
Die Urkundsbeamtin setzte die Vergütung ohne Dokumentenpauschale fest. Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Erinnerung ein. Auf die Aufforderung des SG reichte sie die gefertigten Ablichtungen ein. Das SG wies die Erinnerung schließlich zurück. Die Dokumentenpauschale sei nicht zu berücksichtigen. Der Rechtsanwalt müsse Tatsachen darlegen, aus denen sich schlüssig die Notwendigkeit der Ablichtungen für eine sachgerechte Prozessführung ergebe. Das sei hier nicht geschehen. Die Antragstellerin legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.
Entscheidung: § 46 Abs. 1 RVG geht als Spezialregelung vor
Die Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 Nr. 1lit. a VV RVG sei in Höhe von 67,45 EUR zu berücksichtigen. Bezüglich der Erforderlichkeit von Auslagen, zu denen auch die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1lit. a VV RVG gehöre, enthalte § 46 Abs. 1 RVG eine Sonderregelung für die Vergütung beigeordneter Rechtsanwälte aus der Staatskasse. Danach würden Auslagen, insbesondere Reisekosten, nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich gewesen seien. Soweit die Auffassung vertreten werde, dass es sich bei Nr. 7000 Nr. 1 lit. a VV RVG um eine Sonderregelung zu § 46 Abs. 1 RVG handle, sodass die Darlegungs- und Beweislast bei dem Rechtsanwalt liege, sei dem nicht zu folgen. Denn Nr. 7000 Nr. 1 lit. a VV RVG sei eine allgemeine Vorschrift für die Rechtsanwaltsvergütung, während § 46 Abs. 1 RVG nur die Vergütung des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts aus der Staatskasse betreffe. Es handele sich daher um eine Spezialregelung, die nach dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung ausnahmslos für alle Auslagen gelte.
Die Privilegierung durch § 46 Abs. 1 RVG erfahre allerdings eine Einschränkung durch den Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Kosten der ihm gegebenenfalls zu erstattenden Prozessführung so niedrig zu halten habe, wie sich dieses mit der Wahrung seiner prozessualen Belange vereinbaren lasse. Daher könne es unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein, die Erstattung der Auslagen von der Darlegung konkreter Umstände abhängig zu machen. In diesem Sinne könne ein Anscheinsbeweis gegen die Erforderlichkeit die Darlegungs- und Beweislast von der Staatskasse auf den Rechtsanwalt verlagern. Anderenfalls müsse die Staatskasse, wenn sie ihre Erstattungspflicht bestreiten wolle, konkrete Gründe für die aus ihrer Sicht fehlende Erforderlichkeit benennen. Die Prüfung, ob die Auslagen erforderlich gewesen seien, sei dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Die Erforderlichkeit von Ablichtungen sei aus der Sicht zu beurteilen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Prozessbevollmächtigter haben könne, wenn er sich mit den betreffenden Gerichtsakten beschäftige und alle Eventualitäten bedenke, die bei der noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten könnten. Deshalb dürfe kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Nach diesen Maßstäben habe die Antragstellerin das Entstehen der Dokumentenpauschale spätestens dadurch glaubhaft gemacht, dass sie die gefertigten Ablichtungen übersandt habe. Allerdings handele es sich nur um 333 Ablichtungen. Diese seien aber auch als erforderlich anzusehen.
Praxishinweis
Nach Nr. 7000 Nr. 1 lit. a VV RVG fällt die Pauschale für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten dann an, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Ein Teil der Rechtsprechung leitet hieraus ab, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit der Ausdrucke dem zugewiesen ist, der hierfür Aufwendungen geltend macht, also dem Rechtsanwalt (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 26.05.2016 - 1 Ws 245/16, BeckRS 2016, 133187 [14]; Kammergericht, BeckRS 2015, 20947 [4], OLG München, Beschluss vom 28.08.2015 - 1 Ws 31/15, BeckRS 2014, 100126 [37]) Das LSG Berlin-Brandenburg stellt jedoch zu Recht auf den Wortlaut von § 46 Abs. 1 RVG ab, der eine Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast von der Staatskasse auf den Rechtsanwalt vorsieht (s. hierzu näher Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 46 RVG Rn. 87 f.).
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.04.2020 - L 39 SF 219/17 BE, rechtskräftig (SG Berlin), BeckRS 2020, 15464