NJW-Editorial

Die Richt­ge­schwin­dig­keit der Jus­tiz
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Foto_Editorial_NJW_50_2021_Carsten_Schuetz_WEB
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Das BVerfG hat einen kur­zen Schluss­strich ge­zo­gen unter einen mehr als eine De­ka­de an­dau­ern­den Rechts­streit des Karls­ru­her OLG-Rich­ters Tho­mas Schul­te-Kel­ling­haus, des­sen Ver­fas­sungs­be­schwer­de es nicht zur Ent­schei­dung an­ge­nom­men hat (2 BvR 1473/20, BeckRS 2021, 35433). Vor­der­grün­dig wurde er ge­führt zwi­schen einem Rich­ter und sei­ner (ehe­ma­li­gen) Dienst­vor­ge­setz­ten; tat­säch­lich aber ging es von An­fang an abs­trakt um das schon immer pre­kä­re, rechts­staat­lich fun­da­men­ta­le Ver­hält­nis zwi­schen exe­ku­ti­ver Ge­richts­ver­wal­tung und den Rich­tern als Or­ga­nen der Ju­di­ka­ti­ve.

8. Dez 2021

Trotz an­ge­nom­me­ner man­geln­der Sub­stan­zi­ie­rung der Rechts­ver­let­zung macht die Kam­mer Aus­füh­run­gen zur rich­ter­li­chen Un­ab­hän­gig­keit. Lei­der kommt sie über die alt­be­kann­ten Plat­ti­tü­den wie dem Ver­bot von Wei­sun­gen etc. nicht hin­aus – er­gänzt um das über­kom­me­ne, aber re­gel­mä­ßig leere Ver­spre­chen, der Exe­ku­ti­ve sei „jede ver­meid­ba­re Ein­fluss­nah­me auf die rich­ter­li­che Un­ab­hän­gig­keit un­ter­sagt“, wozu „auch mit­tel­ba­re, sub­ti­le und psy­cho­lo­gi­sche Ein­fluss­nah­men“ zähl­ten. Doch die rechts­staat­li­che Pro­ble­ma­tik liegt seit jeher nicht in den hoch­tra­ben­den Ober­sät­zen, son­dern in der Sub­sum­ti­ons­ver­wei­ge­rung der Dienst­ge­rich­te. Auch das BVerfG hat die in ihrer fach­ge­richt­li­chen Auf­be­rei­tung ein­zig­ar­tig ex­em­pla­ri­sche Causa Schul­te-Kel­ling­haus sträf­lich un­ge­nutzt ge­las­sen, um end­lich ein­mal „But­ter bei die Fi­sche“ zu geben: Was be­deu­ten all die wohl­fei­len Un­ab­hän­gig­keits­pos­tu­la­te, wenn die Ge­richts­prä­si­den­tin trotz 50-Stun­den-Woche mehr Er­le­di­gun­gen ver­langt?

Wie der Vor­halt ge­meint war, hatte sie selbst vor den Dienst­ge­rich­ten er­klärt und damit die po­li­ti­schen In­ter­es­sen der Exe­ku­ti­ve (und Le­gis­la­ti­ve) auf den Punkt ge­bracht: Durch „die ge­setz­li­che Vor­ga­be der Per­so­nal­aus­stat­tung und das tat­säch­li­che Fall­auf­kom­men“ werde „der ver­bind­li­che Maß­stab auf­ge­stellt“, „wie viel der ein­zel­ne Rich­ter in sei­ner je­wei­li­gen Funk­ti­on ins­ge­samt zu er­le­di­gen“ habe. Sprich: Jeder Rich­ter hat so viele Fälle zu er­le­di­gen, wie in sei­nem De­zer­nat an­hän­gig wer­den. Das ist na­tür­lich evi­dent ver­fas­sungs­wid­ri­ger Un­sinn.

Aber jeder weiß, dass der, der die Pa­ra­me­ter der Ent­schei­dungs­fin­dung de­ter­mi­niert, das Er­geb­nis (mit)steu­ert. Vor­brin­gen ober­fläch­lich lesen, das recht­li­che Gehör ge­ring­schät­zen, die Par­tei­en zum Ver­gleich „prü­geln“ – wel­cher Rich­ter kennt nicht die Wege zum kur­zen Pro­zess?! Und da soll die Auf­for­de­rung, mehr Ver­fah­ren zu Ende zu brin­gen, keine mit­tel­ba­re, psy­cho­lo­gi­sche Ein­fluss­nah­me dar­stel­len? Wie an­ders als durch über­zeu­gungs­wid­ri­ge Än­de­rung sei­ner bis­he­ri­gen Pra­xis bei der An­wen­dung von Art. 103 I GG, § 139 ZPO etc. mag das ge­lin­gen? Das sind die Fra­gen, die Tho­mas Schul­te-Kel­ling­haus seit mehr als zehn Jah­ren stell­ver­tre­tend für den Teil der deut­schen Rich­ter­schaft stellt, der exe­ku­ti­ve oder auch kol­le­gia­le Er­le­di­gungs­er­war­tun­gen noch nicht ver­in­ner­licht hat. Die Ant­wort wird ihm auch wei­ter­hin ver­wehrt.

Prof. Dr. Carsten Schütz ist Direktor des SG Fulda.