Kolumne
Die längste Prozesslawine der Welt
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Die Überschrift dieser Kolumne ist eine Anspielung auf eine frühere Werbekampagne. Wer im dritten Wort der Headline einige Buchstaben streicht und vertauscht, erinnert sich vielleicht, dass es um Schokoladiges ging. Noch viel länger zurück liegt eine Werbeaktion mit dem Slogan: „Die machen das.“ Manfred Krug sprach den Satz einst in die Kamera. Manfred wer? Ich fragte anlässlich dieser Kolumne eine junge Jurastudentin, ob sie den Schauspieler kenne. Kopfschütteln. Auch von seiner Serienfigur „Liebling Kreuzberg“ hatte sie nie gehört, obwohl sie das Anwaltsbild in der Bevölkerung viele Jahre prägte. Man muss der Rechtsstudentin allerdings zugutehalten, dass sie (Jahrgang 2000) damals noch gar nicht geboren war.

23. Dez 2021

Mit „Die machen das“ bewarb Krug ab Mitte der 1990 er Jahre den Börsengang der Telekom. Die Kampagne war recht erfolgreich, sie löste bei den risikoscheuen deutschen Sparern einen Aktienboom aus. Die Telekom war so beseelt vom Volksinteresse an der Volksaktie, dass sie einen Börsengang nach dem anderen veranstaltete. Nach der dritten Ausgabe war die Euphorie aber bald vorbei. Der Kurs der T-Aktie purzelte von über 100 auf zeitweise weit unter 10 Euro, viele deutsche Kleinanleger verloren ihr Erspartes. Das war zugleich die Geburtsstunde massenhafter Anlegerklagen. Sie gingen zu Tausenden beim LG Frankfurt a.M. ein. Um sie einigermaßen in den Griff zu kriegen, brachte der Bundestag später ein eigenes Gesetz auf den Weg, das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, auch als „Lex-Telekom“ bezeichnet. Kurzen Prozess macht es mit dem Verfahren aber nicht, ganz im Gegenteil.

Das hat auch, aber nicht nur mit dem KapMuG zu tun. Im ersten Durchgang beim OLG ließ etwa der Vorsitzende sehr früh und klar eine Rechtsposition zulasten der Kläger erkennen. Deren Anwälte verzögerten daraufhin das Verfahren so lange, bis der Mann in Pension ging. Seine Nachfolgerin wurde erstmal durch Konkurrentenklagen blockiert, ein ganzes Jahr tat sich nichts in dem Verfahren. Inzwischen ist auch sie längst im Ruhestand, ebenso wie der Vorsitzende des Bankensenats beim BGH, der einen Prospektfehler erkannte und damit für einen Wendepunkt sorgte. Weil Verschulden und Kausalität unklar waren, ging es zurück zum OLG, von dort nochmal zum BGH und wieder zurück zum OLG. Einige Protagonisten sind über die lange Verfahrensdauer verstorben, Manfred Krug und der Musterkläger beide im Oktober 2016, der Anwalt Andreas Tilp, der dieses Verfahren prägte wie kein anderer, im April dieses Jahres bei einem tragischen Fahrradunfall.

Jetzt könnte das Verfahren tatsächlich bald enden. Das OLG Frankfurt a.M. hat einen Vergleich gebilligt, den die Telekom mit Anwälten der Kleinaktionäre ausgearbeitet hat. Das Gericht empfiehlt „dringend“, ihn anzunehmen. Die Chefjuristin der Telekom sagte dazu: „Das Verfahren läuft seit zwanzig Jahren, und es würde noch zehn Jahre weiterlaufen.“ Daher sei es jetzt an der Zeit für eine vergleichsweise Beendigung.

Sollte man den Prozess im Werbejargon beschreiben, könnte der Slogan lauten: Ein Verfahren, so alt wie die Jurastudenten von heute.

Tobias Freudenberg ist Rechtsanwalt und Schriftleiter der NJW, Frankfurt a.M..