NJW-Editorial
Die große BRAO-Reparatur
NJW-Editorial
Foto_Volker_Roemermann_WEB
Foto_Volker_Roemermann_WEB

Hebammen, Lotsen und Handelschemiker sind mögliche Partner in Anwaltssozietäten. So will es der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des anwaltlichen ­Berufsrechts. Er beinhaltet eine Öffnung der Sozietäten für alle Angehörigen der Freien Berufe. Ist das absurd? Ist das revolutionär? Keineswegs.

20. Nov 2020

Es ist nur die Konsequenz aus einer Rechtsprechung des BVerfG (NJW 2016, 700). Ist das schlimm? Sicher nicht. Die Zeit, in der ein mal lethargischer, mal rückwärtsgewandter Gesetzgeber aus Furcht vor seinem „Organ der Rechtspflege“ dessen verfassungsrechtlich vorgegebene Berufsfreiheit an allen Ecken und Enden beschnitt, musste und muss ein Ende finden. Neue Rechtsdienstleister haben in den letzten Jahren hinlänglich bewiesen, dass Freiheit nicht zu Missbrauch verleitet (s. hierzu auch den RefE für ein „Gesetz zur Förderung verbraucher­ge­rechter Angebote im Rechts­dienst­leis­tungsmarkt“). Das muss dann auch für Anwälte gelten, denen doch erst recht ein Vertrauensvorschuss gebührt.

Die zukünftige Sozietäts-Regelung birgt allerdings bereits die Sollbruchstelle für das System, das erst entstehen soll. Zwei Worte nur: „im allgemeinen“, zu lesen in § 1 II PartGG. Als sich der Gesetzgeber im Jahr 1994 eingestehen musste, dass auch ihm eine trennscharfe Definition des „Freien Berufs“ nicht gelingen würde, flüchtete er sich in diese Relativierung. Seitdem ist klar: Niemand kann durch subsumtionsfähige Tatbestandsmerkmale den freien eindeutig vom sonstigen Beruf unterscheiden. Wozu auch? Nichts spräche dagegen, jedermann zu einem möglichen Gesellschafter anwaltlicher Dienstleistungsunternehmen zu erklären. Soweit in der Debatte darüber in den vergangenen Jahrzehnten Gefahren beschworen wurden, die doch stets von Freiheit, nie von Verboten auszugehen scheinen, blieb das im Ungefähren oder Surrealen – wie etwa das noch zuletzt von der BRAK verteufelte „Gewinnstreben“. Ethischer Standard und unternehmerische Vernunft schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich.

Vieles wäre noch zu sagen über den Entwurf, über größere und kleinere Veränderungen. Über die unnötige und missglückte Verschärfung der Interessenkollision etwa. Über die Demokratisierung der BRAK (nach 61 Jahren). Über Sabbaticals für Syndikusrechtsanwälte. Über Compliance: Auch Anwälte bekommen künftig eine kräftige Dosis von den Segnungen dieser Denkschule. „Cum-ex“ lässt grüßen und führt zu ungeahnten ­Anwalts-Verbandssanktionen nach dem Bilde des § 30 I OWiG. Einigen der auf 349 Seiten angekündigten Neuerungen wird man zustimmen können, vielen nicht. Das Hauptproblem dabei: Der Entwurf verharrt im Hier und Jetzt, er repariert. Für die positive Gestaltung einer anwaltlichen Zukunft fehlen Kraft und politischer Wille. Ein Gutes hat das alles: Anwaltskanzleien jeder Größenordnung werden sich künftig viel intensiver mit ihrem Berufsrecht beschäftigen als je zuvor. Und dabei eines der spannendsten und schönsten Gebiete für sich entdecken, die es im deutschen Recht gibt. •

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.