Interview
Die Größtkanzlei
Interview
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Wie frei und unabhängig kann ein Anwalt seinen Beruf ausüben, wenn er für eine internationale Großkanzlei mit mehreren Tausend Berufsträgern und Milliardenumsatz arbeitet? Rechtsanwalt Andreas Ziegenhagen ist seit vielen Jahren Managing Partner der deutschen Büros von Dentons, der nach der Zahl der Anwälte größten Kanzlei der Welt. Wir haben ihn dazu befragt, wie sich diese Größenordnung managen lässt und ob es für Kanzleien eine Wachstumsgrenze gibt.

24. Jul 2020

NJW: Ihre Kanzlei hat weltweit über 10.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Können Sie verstehen, dass wir diese Dimension mit unserem Verständnis vom freien Anwaltsberuf nur schwer in Einklang bringen können? Lässt sich eine Kanzlei dieser Größenordnung überhaupt noch effizient steuern?

Ziegenhagen: Es ist natürlich richtig, dass die Zahl von mehr als 10.000 Anwälten weltweit einmalig im Rechtsmarkt ist und auch die Dimensionen dessen sprengt, was wir traditionell mit dem Begriff „Kanzlei“ assoziieren. Dentons ist 2013 bewusst angetreten, den bisherigen Status quo im Rechtsmarkt herauszufordern. Einen Widerspruch zum freien Anwaltsberuf bedeutet unsere globale Größe dennoch nicht. Unser Anspruch ist es vielmehr, die globale Schlagkraft und Präsenz mit dem traditionell gewachsenen Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant – das in der Rechtsberatung noch immer zentral ist – zu verbinden. Gerade durch unsere polyzentrische Organisation, das heißt eine Struktur ohne dominierende Zentrale, und die Verankerung in lokalen Märkten können wir sehr effizient agieren und bieten unseren Mandanten Zugang zu ganz verschieden geprägten lokalen Rechtskulturen auf der ganzen Welt.

NJW: Was sind die größten Herausforderungen bei dieser Größe?

Ziegenhagen: In einer Kanzlei unserer Größe ist die Mandatsarbeit selbstverständlich durch das erforderliche Konfliktmanagement bei der Mandatsannahme geprägt. Daneben zählen zu den größten Herausforderungen reibungslose Kommunikationsflüsse sowie ein funktionierendes Wissensmanagement innerhalb der globalen Organisation. Wir müssen insoweit sicherstellen, dass wir Prozesse etablieren, die über mehrere Zeitzonen hinweg verlässlich funktionieren.

NJW: Stichwort Konfliktmanagement: Allein den Conflict Check stellen wir uns sehr komplex vor.

Ziegenhagen: Je größer wir werden und je mehr Mandanten wir beraten, desto wichtiger wird, dass wir Interessenkonflikte und Risiken lokal, regional und auf globaler Ebene prüfen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass in den unterschiedlichen Jurisdiktionen unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen für einen zu beachtenden rechtlichen Konflikt oder etwaige regulatorische Anforderungen wie zum Beispiel das Geldwäschegesetz anzuwenden sind. So muss im Rahmen jeder Mandatsanlage immer ein globaler Conflict Check auf Basis eines softwarebasierten Prozesses durchgeführt werden. Konflikte können in der Regel eher bei größeren internationalen Projekten mit vielen Parteien sowie bei potenziellen gerichtlichen Auseinandersetzungen mit großen Unternehmen entstehen. Es kann dann unter Umständen vorkommen, dass der verantwortliche Rechtsanwalt ein bestimmtes Mandat wegen eines rechtlichen oder auch nur aufgrund eines wirtschaftlichen Interessenkonflikts nicht annehmen kann.

NJW: Gibt es aus Ihrer Sicht eine natürliche Grenze bei der Anzahl an Berufsträgern, bei deren Überschreiten Sie sagen: Jetzt funktionieren die Kanzlei und ihr Geschäftsmodell nicht mehr?

Ziegenhagen: Aus meiner Sicht gibt es keine natürliche Grenze für die Anzahl an Berufsträgern einer globalen Kanzlei, da sich einerseits die technischen Möglichkeiten laufend erweitern und auch die Kosteneffizienz durch die Größe der Kanzlei steigt. Wir können uns hier beispielsweise an den großen internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften orientieren, die erheblich mehr Berufsträger haben. Dennoch ist die Anzahl der Berufsträger für uns kein Selbstzweck, sondern operativ an den einzelnen Standorten in Relation zum Markt und den dort vorhandenen Möglichkeiten zu beurteilen. Viele Mandanten schätzen beispielsweise die Möglichkeiten unseres Ausbaus beim Zugang zu den aufstrebenden Märkten, da sie bei anspruchsvollen grenzüberschreitenden Projekten eine integrierte Beratung bevorzugen.

NJW: Wie sind Sie gesellschaftsrechtlich aufgestellt?

Ziegenhagen: Wir sind als internationale Kanzlei organisatorisch im Rahmen eines Schweizer Vereins aufgestellt. Mit dieser Rechtsform vereinen wir regionale und finanziell unabhängige Dentons-Einheiten unter einem gemeinsamen globalen Dach. In Europa ist Dentons in der Rechtsform einer englischen LLP als zentrale Muttergesellschaft strukturiert, jedoch sind teilweise auch aus berufsrechtlichen Gründen eigene Landesgesellschaften operativ tätig.

NJW: Sind Sie damit eine vollintegrierte Kanzlei oder eher mehrere Einzelkanzleien unter einem gemeinsamen globalen Label?

Ziegenhagen: In der Dentons Europe LLP sind wir – inklusive der Landesgesellschaften – finanziell vollständig integriert. Auf globaler Ebene sind wir organisatorisch auf der Ebene der Praxis- und Sektorgruppen sowie hinsichtlich der Zusammenarbeit mit unseren Mandanten ebenfalls eine vollintegrierte Kanzlei. Dies zeigt sich etwa bei grenzüberschreitenden Mandaten, wenn wir Mandanten bei einzelnen Projekten weltweit in über 70 Jurisdiktionen rechtlich begleiten. In diesen Konstellationen sehen wir uns als vollintegrierte globale Kanzlei im Rahmen der Koordination gegenüber Einzelkanzleien im Vorteil.

NJW: In welchen Bereichen sind die einzelnen Regionen autark, wo wird global durchregiert?

Ziegenhagen: Grundsätzlich müssen sich alle Regionen an die globalen Standards hinsichtlich Zusammenarbeit, IT-Infrastruktur, Conflict-Check-Systeme oder Außenauftritt der Kanzlei halten. Die globalen strategischen Entscheidungen werden vom Global Board der Kanzlei vorbereitet und müssen dann auf der Ebene jedes Vereinsmitglieds durch entsprechende Partnerentscheidungen bestätigt werden. Das normale Tagesgeschäft sowie lokale Budgets verantwortet dagegen das jeweilige regionale Management. Ein globales „Durchregieren“ ist somit mangels eines zentralen Managements mit entsprechenden Befugnissen nicht möglich.

NJW: Wir stellen uns vor, dass es allein für die Verwaltung einer solchen Organisation viele Ressourcen braucht. Führt das nicht zu einer besonders hohen Kostenquote?

Ziegenhagen: Ab einer gewissen Kanzleigröße bestehen sowohl Kostenvorteile im Rahmen der Beschaffung (etwa Einkauf von Soft- und Hardware mit Mengenrabatten) als auch Synergieeffekte im Rahmen der Verwaltung durch die effiziente gemeinsame Nutzung von Ressourcen durch zentrale interne Dienstleistungen, beispielsweise unser europäisches SharedBusiness-­Services-Center in Warschau. Grundsätzlich ist die Kostenquote einer globalen Wirtschaftskanzlei regelmäßig höher als bei einer nationalen Rechtsanwaltsboutique, dies sollte sich aber zusätzlich durch ein entsprechend höheres Umsatzpotenzial wirtschaftlich ausgleichen.

NJW: Große Tanker gelten als schwer beweglich. Gilt das auch für die Innovationskraft und Modernität einer Kanzlei Ihrer Größenordnung?

Ziegenhagen: Es ist grundsätzlich richtig, dass unsere Kanzleigröße zunächst einen höheren Abstimmungsund Koordinierungsaufwand erfordert. Andererseits bietet sie enorme Ressourcen, auf die wir bei der Entwicklung von Innovationen zurückgreifen können. Beispiele hierfür sind unsere Taskforce „Client Solutions Innovation“, die zukunftsgerichtete und individuell zugeschnittene Beratungslösungen für Mandanten entwickelt, sowie unser Unternehmen Nextlaw Labs, das bei der Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen ähnlich wie ein Start-up-­Inkubator arbeitet und dabei auf den weltweiten Wissensschatz unserer Anwälte und Business Services zugreifen kann. •

Interview: Tobias Freudenberg/Dr. Monika Spiekermann.