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Es war nur eine Frage der Zeit, bis wieder eine Dissertation einer prominenten Person ins Visier von Plagiatsprüfern und damit absehbar auch der Öffentlichkeit gerät. Nun wird sich das Ritual aus vergangenen Fällen wiederholen. Das heißt: Eine grundlegende Plagiats­debatte inklusive einer kritischen Selbstreflexion der Rechtswissenschaft bleibt aus.

3. Aug 2023

Wer suchet, der findet bekanntlich. Und als im Sommer­loch 2023 ein paar selbsternannte Plagiatsjägerinnen auf die Idee kamen, die Dissertationen jüngst ernannter Ministerinnen und Minister stichprobenhaft auf nicht oder mangelhaft gekennzeichnete Textübernahmen zu prüfen, wurden sie in einer juristischen Arbeit fündig. Was nun geschehen wird, und vor allem was nicht geschehen wird, lässt sich, da längst ritualisiert, ziemlich sicher vorhersagen.

Die Angelegenheit wird über kurz oder lang an die Öffentlichkeit gelangen, die bei Politikern merkwürdigerweise immer noch ein wenig empörungsbereiter rea­giert als bei Wissenschaftlern. Die politischen Gegner dürften die standardisierten Rücktrittsforderungen erheben, solidarische Parteifreundinnen im Geheimen die Messer wetzen und, nur für den Ernstfall, Nachfolgeoptionen durchspielen.

Nach bestem Wissen und Gewissen

Die Verfasserin der Arbeit, konfrontiert mit den Vorwürfen mangelhafter oder fehlender Kennzeichnung fremder Inhalte, wird, kundig beraten von Krisenkommunikationsexperten, mit den üblichen Textbausteinen reagieren: „… nach bestem Wissen und Gewissen verfasst …“, „… habe ich meine Universität umgehend gebeten, die Arbeit erneut zu prüfen …“, „… mit Blick auf das laufende Verfahren und die Unschuldsvermutung zunächst keine weitere Stellungnahme …“. Die betroffene Universität wird vermutlich eine Kommission einberufen, die zumindest ihre konstituierende Sitzung alsbald absolviert. Bei prominenten potenziellen Plagia­toren geht das ziemlich schnell. Das weitere Verfahren wird sich indes wegen der Bedeutung und der Komplexität der Sache ein wenig in die Länge ziehen. Fehler im Verwaltungsverfahren sind unbedingt zu vermeiden.

Da die Doktorarbeit von Bauernopfern geprägt ist, wäre die Gelegenheit günstig, den fachlichen Diskurs dazu ein wenig zu beleben. Zur Erinnerung: Bauern­opfer – den Begriff benutzen inzwischen selbst die Verwaltungsgerichte für einen spezifischen Typ der Simula­tion intellektueller Integrität – nennen die Plagiatssammler zum einen Textpassagen, bei denen die Fußnote mit der Quellenangabe nicht am Ende einer 20zeiligen Übernahme steht, sondern in der Mitte. Der Leser rechnet daher den Text hinter dem Beleg fälschlicherweise wieder der Verfasserin der Dissertation zu. Zum anderen fällt darunter das wörtliche Übernehmen des Quelltexts ohne Anführungsstriche mit Angabe der korrekten Belegstelle, so dass der Leser meint, eine eigene gedankliche Leistung der Verfasserin präsentiert zu bekommen, die den Quelltext gekürzt, zugespitzt und umformuliert hat. Obwohl dabei unehrlich ein wörtliches Zitat als sinngemäßes ausgegeben wird, ist das unter Juristen recht beliebt, weil man sich wegen des fachlichen oder gar autoritativen Charakters der Quelle eben auch nicht zu weit von ihr entfernen darf. Also kopiert man sie mit „Strg-c/v“. In der größten Not präsentiert man Erklärungen wie: „Ich habe ein Substantiv in den Plural gesetzt, also ist der Text doch jetzt meine eigene gedankliche Leistung!“

Keine fachkulturelle Klarstellung

Was nicht geschehen wird: eine fachkulturelle Klarstellung, dass Bauernopfer unredlich sind. Obwohl die Verfasserin in unserem Fall Dutzende lupenreiner Fallbeispiele für das Lehrbuch guter wissenschaftlicher Praxis geliefert hat. Aber da drücken manche Fachbereiche lieber sämtliche Augen zu – was wiederum künftige Doktoranden schlimmstenfalls zu zeitsparender Arbeitsweise ermutigt. Auch wird sich wieder keine Instanz des Fachs der Frage annehmen – dabei täte sie damit nicht nur den Doktorandinnen einen Gefallen, sondern der Wissenschaftskultur in den Rechtswissenschaften.

Nicht nur wegen des genannten Augenzudrückens könnten die Recherchen der Plagiatsprüfer für die promovierte Politikerin mit der juristischen Dissertation glimpflich ausgehen. Das örtliche Wahlvolk ist mittlerweile sowieso plagiatsdebattenmüde, schließlich steht die Verfasserin in ihrem Senat insoweit als Zwergin auf den Schultern einer Riesin. Und im Verkehrsressort ist arbeits- und aktienrechtliche Expertise gar nicht vonnöten. Wer sich eine Vorstellung der Bauernopfer (auch in Kombination der oben gezeigten Varianten) in der Arbeit machen möchte, kann das hier tun.

Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Wirtschaftsprivatrecht und Bürger­liches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.