Urteilsanalyse
Der Vermieter schuldet den Vollbeweis dafür, dass er aus lauteren Motiven den Eigenbedarf geltend macht
Urteilsanalyse
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Vermag das Gericht trotz Ausschöpfung der Beweismittel nicht positiv festzustellen, dass der Vermieter aus lauteren Motiven handelt, kann dies nach Ansicht des LG Berlin die Abweisung der auf Eigenbedarf gestützten Räumungsklage rechtfertigen.

17. Apr 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 07/2023 vom 13.04.2023

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Sachverhalt 

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen Eigenbedarfs auf Räumung und Herausgabe einer in den 1980er Jahren angemieteten Dreizimmerwohnung in Berlin in Anspruch. Nachdem der Kläger die Wohnung gekauft hatte und 2020 gemäß § 566 BGB als neuer Vermieter in das Mietverhältnis eingetreten war, kündigte er mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten kurze Zeit später das Mietverhältnis und beruft sich auf Eigenbedarf. Zur Begründung trägt er vor, er habe die Wohnung gekauft, um seinen Schwestern die Gründung eines eigenen Haushalts zu ermöglichen. Diese seien Studentinnen und bezögen BAföG; die Leistungen reichten nicht aus, damit seine Schwestern sich auf dem Berliner Mietmarkt mit Wohnraum versorgen könnten. Die aktuelle Miete betrage nur ca. 15 % seines Einkommens, worauf er nicht angewiesen sei. Er könne also seinen Schwestern helfen und wolle das auch; dies sei für ihn als Bruder wegen des engen Familienverhältnisses selbstverständlich und er fühle sich dazu auch verpflichtet.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die Kammer sei sich nicht davon überzeugt, dass der geltend gemachte Eigenbedarf tatsächlich bestehe. Zwar würden das Kündigungsschreiben und der ergänzende Sachvortrag des Klägers die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB voll und ganz erfüllen und die Kammer bezweifle auf Grundlage der protokollierten Angaben der im ersten Rechtszug als Zeuginnen gehörten Schwestern des Klägers auch nicht, dass diese nach erfolgreicher Vollstreckung eines stattgebenden Urteils wie angekündigt in die Wohnung einziehen würden.

Die Kammer sei aber nicht mit der für eine Räumungsverurteilung der Beklagten erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass der Kläger tatsächlich aus lauteren Motiven familiärer Verbundenheit handle und es ihm beim Kauf der Wohnung sowie der anschließenden Eigenbedarfskündigung um die Unterstützung seiner Schwestern ginge. Nicht selten werde die Kammer in ihrer täglichen Praxis mit lediglich vorgetäuschten oder konstruierten Eigenbedarfskonstellationen befasst, sodass auch vorliegend der Gedanke nicht von vornherein von der Hand zu weisen sei, dass die Wohnung durch den schlüssig dargelegten Eigenbedarf zum Zwecke der Wert- und Ertragssteigerung „entmietet“ werden solle. Dies ließe sich ohne nennenswerte Gefahr der Entdeckung umsetzen, indem sich beispielsweise binnen überschaubarer Zeit nach dem Einzug der Eigenbedarfspersonen in die Wohnung eine Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des Vermieters ergäbe oder er sich mit den Bedarfspersonen überwürfe, sodass er die Bedarfspersonen aus nachvollziehbaren Gründen nicht länger unterstützen könnte oder wollte. Ein arglistig handelnder Vermieter müsse die Bedarfspersonen oder andere Dritte in solche Pläne noch nicht einmal einweihen, sodass diese als gutgläubige Zeugen bereitstünden; denn er könne darauf vertrauen, dass die Bedarfspersonen die Wohnung aus Dankbarkeit für die genossene Unterstützung ohne Widerstand aufgeben würden.

Die Kammer lege Wert darauf zu betonen, dass sie keinerlei konkrete Anhaltspunkte für einen gegen den Kläger gerichteten Verdacht habe, er handele arglistig und der geltend gemachte Eigenbedarf sei in dem skizzierten oder einem anderen Sinne vorgeschoben. Die Angaben seiner Schwestern im Rahmen ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung stellten sich vielmehr als „positiv ergiebig“ dar; die Kammer sehe auch keine triftigen Anhaltspunkte für eine Unaufrichtigkeit der Zeuginnen und der Kläger habe selbst in der mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner persönlichen Anhörung glaubwürdig gewirkt.

Es verblieben aber gleichwohl restliche Zweifel an den vorgetragenen Motiven des Klägers, sodass die Kammer nicht im Sinne des § 286 ZPO vom tatsächlichen Vorliegen des streitigen Eigenbedarfs überzeugt sei. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er zumindest mittelfristig auf einen erheblichen Teil seines Nettoeinkommens zugunsten seiner Schwestern aus familiären Gründen verzichten würde; hiergegen spreche prinzipiell nichts. Auf der anderen Seite haben die Beklagten aber den Eigenbedarf bestritten und es gebe keine Indizien oder gar Beweise für die vorgetragene Motivation des Klägers. Insbesondere hätten seine Schwestern keinerlei Angaben dazu machen können, aus welchen Gründen der Kläger ihnen die Wohnung überlassen möchte. Die gegenüber beiden Zeuginnen gleichlautende Frage, wie es komme, dass nun ausgerechnet ihr Bruder ihnen die Wohnung überlassen wolle, haben beide Zeuginnen unbeantwortet gelassen. Die jüngere Schwester habe darauf mit der Angabe reagiert, dass ihr Bruder ihnen die Wohnung „für wenig Geld“ überlassen werde. Die ältere Schwester habe angegeben, es sei für zwei Studentinnen mit BAföG in Berlin so gut wie unmöglich, anderweitig eine Wohnung zu erhalten. Auf die zweifelnde Rückfrage, ob ihr Bruder sich dann einfach mal so bereit erklärt habe, seinen Schwestern seine Wohnung zu überlassen, habe sie erwidert, das habe sich angeboten; und natürlich hätten die Zeuginnen das dann nicht abgelehnt, wenn sie sowieso auf der Suche waren.

Dies reiche für die notwendige Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit des behaupteten Eigenbedarfs nicht aus.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund des konkreten Einzelfalls vertretbar.

Vor allem in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt sind Eigenbedarfskündigungen mit verschiedensten Begründungen in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Gerichtsverhandlungen geworden. Hierdurch haben sich in der Praxis eine Vielzahl an Fällen angesammelt, in denen Vermieter Eigenbedarfskündigungen durchsetzen und sich später herausstellt, dass diese nur vorgeschoben waren. Dies ist bei den Gerichten und speziell bei den Mietkammern nicht unbemerkt geblieben.

Bemerkenswert an der vorliegenden Entscheidung ist, dass das Gericht explizit betont, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, dass die Kündigung nur vorgeschoben sei. Zweifel an den vorgetragenen Motiven des Klägers ergaben sich aber aufgrund der Zeugeneinvernahme. Insbesondere der Umstand, warum der Kläger seinen Schwestern die Wohnung zu günstigeren Konditionen vermieten wollte, sei nicht gänzlich aufgeklärt worden. Der schlichte Hinweis auf das familiäre Näheverhältnis hat vorliegend nicht ausgereicht.

Vermietern, insbesondere in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, ist daher zu raten, darauf zu achten, substantiierter zum Näheverhältnis vorzutragen und dieses im Zweifel auch beweisen zu können. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass sie den Bedarfspersonen günstigere – nicht marktübliche – Konditionen anbieten wollen. Das LG Berlin ist jedenfalls hierauf stark sensibilisiert.

LG Berlin, Urteil vom 11.05.2022 - 64 S 280/21 (AG Berlin-Charlottenburg), BeckRS 2022, 44282