NJW-Editorial
Der Ton macht die Musik
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Foto_Michael_Selk_WEB
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Wir leben in einer Zeit, in der der Umgangston – vor allem auf Internetplattformen – rauer geworden ist. Diese Tendenz macht auch vor Gerichtssälen nicht halt, und manche Richterinnen und Richter beklagen sich mitunter zu Recht über den von einigen Anwälten verwendeten Stil, der durchaus Grenzen überschreiten kann. Rauer ist aber auch der Umgang einiger Gerichte mit „unteren“ Instanzen geworden. 

9. Sep 2020

Bislang gehörte es zum guten Stil, dass etwa die Berufungsgerichte sich mit Kritik an – auch gravierenden – Fehlern der Eingangsinstanz in ihren Entscheidungen zurückhielten. Auch in mündlichen Verhandlungen verlor man meist kein kritisches Wort. Diese unausgesprochen ausgeübte Zurückhaltung scheint indes seit einigen Jahren beim BGH teilweise aufgegeben worden zu sein. Auffällig ist hier insbesondere der VIII. Zivilsenat, der in seinen Entscheidungen ab und zu einen bemerkenswerten Duktus pflegt. Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Kritik an der Arbeit der Anwälte, sondern um die Urteile bzw. Beschlüsse der Vorinstanzen.

Das vom BGH aufgehobene Gericht muss sich – oft wiederholt! – sagen lassen, es habe „bereits im Ansatz verkannt“, seine Entscheidung stehe „in eklatantem Widerspruch zu den vom BGH (...) aufgestellten Anforderungen“ (vgl. etwa BGH, NZM 2020, 598 Rn. 34, 43, 50, 70); es habe die „beschriebenen Anforderungen in jeder Hinsicht missachtet“, Ausführungen seien „rechtsirrig“ (zB BGH, NJW-RR 2017, 1479 Rn. 16) oder „vom Rechtsirrtum beeinflusst“ (BGH, NJW 2019, 1938 Rn. 24). Die Richterschaft reagiert „irritiert“: von „abgestraften“ Berufungsgerichten ist die Rede (Börstinghaus, NZM 2019, 227), auch von einem „geradezu ‚schulmeisterlichen‘ Tonfall“. In aus Sicht des BGH besonders gravierenden Fällen wird die Sache dann auch noch gem. § 563 I 2 ZPO an eine andere Kammer bzw. einen anderen Senat der Vorinstanz zurückverwiesen (dies dann in der Regel ohne wirkliche Begründung für die „Wegverweisung“).

Dass es auch anders geht, zeigen die Aufhebungen und Rückverweisungen anderer Entscheidungen, in denen schlicht von „Rechtsfehlern“ die Rede ist, ohne diesen Begriff auch noch mit steigernden Adjektiven zu versehen. Die Formulierung „hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand“ etwa sollte genügen. Vertrauen in die Justiz und in den Rechtsstaat ist gerade in schwierigen Zeiten ein hohes Gut – es sollte bewahrt werden. Es hilft dann nichts, wenn Parteien eines Rechtsstreits aus Karlsruhe Hinweise darauf erhalten, die letzte für sie zuständige Tatsacheninstanz sei leider juristisch – übersetzt – unfähig gewesen. Diesen Gerichten und ihrer Kompetenz sollen sie auch weiterhin vertrauen. Wünschenswert wären also weniger Schärfe und mehr Respekt vor tatrichterlicher Arbeit, mag sie auch nicht immer richtig sein. •

Rechtsanwalt Dr. Michael Selk, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, für Bau- und Architektenrecht sowie für Strafrecht, ist Partner bei Weiland Rechtsanwälte, Hamburg.