Interview
„Der Rechtsstaat ist kein bloßer Kostenfaktor“
Interview
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Umfangreiche Gerichtsverfahren gehen richtig ins Geld. Aktuelles Beispiel: Der Prozess gegen den mutmaßlichen Deutschland-Chef des Islamischen Staats, der das OLG Celle seit über drei Jahren beschäftigt, hat mittlerweile rund 10 Mio. Euro verschlungen. Doch der Blick auf die Kosten allein wird einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht gerecht, meint der Präsident des OLG Düsseldorf, Dr. Werner Richter, im Gespräch mit der NJW.

18. Feb 2021

NJW: In Celle belaufen sich die Kosten in einem Terror-Prozess auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Das ist nicht nur auf den ersten Blick sehr viel Geld. Muss uns das der Rechtsstaat wert sein?

Richter: Der Versuch, die Gesamtkosten einzelner Strafverfahren zu beziffern, verführt leicht zu der Fehlvorstellung, der Rechtsstaat lasse sich allein mit volks- und betriebswirtschaftlichen Mitteln erfassen. Bereits über die Frage, wie man denn die Kosten eines einzelnen Verfahrens beziffern soll, kann man trefflich streiten. Vor allem aber ist nicht nur der Aufwand zu sehen, sondern primär der „Ertrag“ oder besser: der Wert.

NJW: Was heißt das konkret?

Richter: Die Justiz muss jederzeit in der Lage sein, Verfahren auch größeren Umfangs entschlossen zu führen. Vor dem OLG Düsseldorf werden seit 51 Jahren Staatsschutzverfahren verhandelt. Wir haben inzwischen vier erstinstanzliche Strafsenate. Die Richterinnen und Richter, Service- und Protokollkräfte, Wachtmeister, Hausmeister, die Räumlichkeiten, Technik, Arbeitsmittel, all das kostet natürlich Geld. Dieser Aufwand fällt allerdings grundsätzlich an, unabhängig von dem einzelnen Verfahren. Und das ist auch unbedingt notwendig. Verfahrensbezogen entstehen unter anderem Kosten für Verteidiger, Nebenklägervertreter, Sachverständige und Zeugen. Das kann in Umfangsverfahren zu beachtlichen Beträgen führen. Nach dem Loveparade-Strafverfahren prüft übrigens aktuell eine Expertenkommission mit Unterstützung meines Hauses, wie sich derartige Umfangsverfahren so gut wie möglich führen lassen. Die Kostenersparnis steht dabei aber sicher nicht im Fokus.

NJW: Wenn wir Sie richtig verstanden haben, stellt sich die Frage, was ein rechtsstaatliches (Straf-)Verfahren kosten darf, also nicht?

Richter: Der Rechtsstaat ist kein bloßer Kostenfaktor, sondern er garantiert die Rahmenbedingungen für Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Die Justiz sorgt für die Einhaltung der Regeln, ohne die ein zuverlässiges Miteinander und Handeln, auch im Wirtschaftsleben, nicht möglich wäre. So kann ich Verträge schließen in der Gewissheit, meine vertraglichen Rechte gerichtlich durchsetzen zu können. Umgekehrt weiß dies auch mein Vertragspartner. Der Rechtsstaat funktioniert also im Alltag gerade auch da, wo wir ihn nicht sehen. Damit das so bleibt, dürfen Kosten dann im Einzelfall durchzuführender Verfahren keinen das Recht limitierenden Faktor bilden. Dabei ist die Justizverwaltung, welche die Rahmenbedingungen der unabhängigen Rechtsprechung sichert, selbstverständlich verpflichtet, die vorhandenen Ressourcen effizient einzusetzen.

NJW: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch, die oft sehr teuer sind, aber keinen Bezug zu Deutschland haben müssen?

Richter: Das OLG Düsseldorf ist eines der bedeutendsten Staatsschutzgerichte in Deutschland. Die Straftaten, die Gegenstand dieser Verfahren sind, wurden oftmals nicht in Deutschland verübt, was die Aufklärung für unsere Senate nicht gerade erleichtert. Der Aufwand lohnt aber unbedingt und in jeder Hinsicht.

NJW: Inwiefern?

Richter: Wer im Ausland Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere nach dem Weltrechtsprinzip verfolgbare Straftaten verübt, ist in Deutschland nicht vor Verfolgung sicher. Wer Menschen terrorisiert oder tötet, muss sich bei uns verantworten und wird bestraft. Grundlegende Rechtsprinzipien enden nicht an unseren Staatsgrenzen. Die Würde des Menschen ist weltweit unantastbar. Dies mit unseren justiziellen Mitteln umzusetzen, ist eine Verpflichtung, der wir uns nicht aus Kostengründen entziehen dürfen. Diese Kosten müssen natürlich getragen werden. Solche Staatsschutzverfahren, in denen der Generalbundesanwalt die Ermittlungen führt, sind eigentlich Aufgabe des Bundes, der dies lediglich an die Länder delegiert hat. Das hat der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm im vergangenen Jahr lesenswert in einem Aufsatz in Ihrer Zeitschrift dargestellt. Das Thema ist sehr aktuell: Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben in ihrer Herbstkonferenz beschlossen, eine Bundesratsinitiative zur angemessenen Kostenbeteiligung des Bundes in Staatsschutzsachen auf den Weg zu bringen.

NJW: Sind Verfahrenskosten in dieser Größenordnung ein Spezifikum von Strafverfahren, oder können solche Summen auch in Zivilprozessen zustande kommen?

Richter:  Wie sich die von Ihnen eingangs genannte Summe eigentlich errechnet, ist mir im Detail nicht bekannt. So oder so können natürlich auch Zivilverfahren kostenintensiv sein und einen enormen Aufwand erfordern.

NJW: Werden für sehr „teure“ Verfahren Rückstellungen im Justizhaushalt gebildet?

Richter: Für uns als Gerichte gilt, dass wir über den Haushalt nur unsere Sach- und Personalkosten zugewiesen bekommen, die ja nicht verfahrensbezogen anfallen. Die Auslagen in einzelnen Rechtssachen, also die Gebühren und Auslagen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Sachverständigenkosten, Zeugenentschädigungen etc. sind für uns nicht budgetiert.

NJW: Wirken sich kostenintensive Umfangsverfahren negativ auf den Kostendeckungsgrad der Justiz aus?

Richter:  Die Justiz erwirtschaftet Einnahmen etwa in Form von Gerichtsgebühren, Bußgeldern und Geldstrafen. Der sogenannte Kostendeckungsgrad ist dabei kein wirklich aussagekräftiger Wert. Ein Beispiel: Soweit der Staat anfallende Verfahrenskosten etwa im Rahmen von Prozesskostenhilfe trägt, nimmt er damit nicht nur eine Justizaufgabe wahr. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entspricht vielmehr unserer sozialstaatlichen Verantwortung. Für mich ist klar: Der Zugang zum Recht darf nicht von der Einkommenshöhe abhängen, sondern muss für alle gewährleistet sein. Das können und müssen wir uns als Gesellschaft leisten.

NJW: Gibt es in Zivilverfahren einen Wettbewerb zwischen Gerichtsstandorten, um kostenträchtige Fälle an sich zu ziehen?

Richter: Im Kern geht es darum, durch eine sinnvolle Spezialisierung der Spruchkörper und eine gute Personalentwicklung die Qualität der Rechtsprechung zu sichern. Wenn dies nicht nur im Staatsschutz-, sondern auch im Wirtschaftsrecht – etwa im Kartell-, Patent- oder Markenrecht – zu einem „guten Ruf“ der Gerichte hier in Düsseldorf führt, freut mich das. Von Bedeutung für die Rechtsschutzsuchenden ist eine effiziente und qualitätsvolle Erledigung der Verfahren. Das ist der entscheidende Maßstab für uns, nicht der Blick auf Gebühreneinnahmen in bestimmten Fällen, zumal diese nicht den Gerichten selbst zufließen. Mit dieser Haltung wollen wir unseren hohen Standard halten und ausbauen, gerne auch im Vergleich zu anderen.

NJW: Ist das auch ein Grund, warum kürzlich mit der UWG-Novelle der fliegende Gerichtsstand, der zu einer Konzentration vieler Verfahren bei Gerichten mit spezialisierten Spruchkörpern geführt hat, eingeschränkt wurde?

Richter: Der Änderung der Zuständigkeitsregelung in § 14 UWG wird gewiss auch Auswirkungen auf den Wettbewerbsrechtsstandort Düsseldorf haben, ohne diese schon beziffern zu können. Über die gesetzgeberischen Motive zu sinnieren, führt uns als Gerichte nicht weiter. In Düsseldorf wollen und werden wir den hohen Spezialisierungsgrad und damit unseren Qualitätsstandard auch bei vielleicht geringerem Fallaufkommen halten. Auch steht im Raum, dass die Landesregierung von der Verordnungsermächtigung im UWG Gebrauch machen und das LG Düsseldorf als eines der Gerichte für Wettbewerbsstreitsachen bestimmen wird. •

Seit Mitte Oktober 2018 steht Dr. Werner Richter an der Spitze des OLG Düsseldorf. Seine Karriere in der nordrhein-westfälischen Justiz begann Anfang 1989 beim LG Köln. Sechs Jahre später wurde er nach Düsseldorf an das Justizministerium abgeordnet. Im Februar 1998 wurde er zum Richter am OLG Köln ernannt. Nach Einsatz in verschiedenen Zivilsenaten und der Gerichtsverwaltung kehrte er 2006 an das Ministerium zurück. Dort übernahm er 2012 die Leitung der Zentralabteilung, die u.a. für die Personalangelegenheiten der Justiz zuständig ist.

Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.