NJW-Editorial
Der Mond im Mietrecht
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Nach dem Bürokratieentlastungsgesetz IV lässt das BGB für den Abschluss und die Änderung von Gewerberaummietverträgen die Wahrung der Textform genügen, ohne zu klären, wie Verträge in Textform geschlossen oder geändert werden. Das kann getrost als Schuss in den Ofen bezeichnet werden. Aber Bürokratieabbau hat mit dem Mond gemein, dass sich spontan eine große Fangemeinde hinter ihm versammelt. Deshalb fanden die Bedenken gegen die Änderung kein Gehör.

31. Okt 2024

Informationspflichten zu wahren, indem entsprechende Dokumente Verbrauchern in Textform zur Verfügung gestellt werden, hat sich etabliert und das Miteinander in einer zunehmend digitalisierten Welt erleichtert. Nicht auszudenken, wie schwerfällig es wäre, Informationen im Fernabsatz in Schriftform erteilen zu müssen. Ebenso eignet sich die Textform zur Abgabe einseitiger Erklärungen, etwa des Widerrufs einer Willens­erklärung. Die Information oder Erklärung muss dem Empfänger derart zugehen, dass er sie dauerhaft speichern kann. So weit, so gut.

Stellt man sich aber die Frage, in welcher Art und Weise ein Vertrag unter Wahrung der Textform geschlossen werden kann, gerät man schnell ins Grübeln – und stellt fest, dass die herkömmlichen Normen des BGB zur Schriftform nicht wirklich passen. Reicht es aus, wenn die eine Vertragspartei der anderen den Vertragsentwurf per E-Mail oder gar per WhatsApp zukommen lässt und der Empfänger mit einem „einverstanden“ oder „in Ordnung“ oder mit dem Emoji eines erhobenen Daumens antwortet? Zwei in Bezug zueinander abgegebene und übereinstimmende Willenserklärungen dürften vorliegen, und auch die E-Mail mit dem Inhalt „ok, Dr. X.“ lässt sich dauerhaft speichern. Oder mag es doch notwendig sein, ein umfangreiches Vertragsdokument, das im Anhang einer elektronischen Nachricht versendet wird, in irgendeiner Form zu signieren und entsprechend markiert bestätigend zurückzusenden? Dem Gesetz sind dazu keine Hinweise zu entnehmen; die entsprechende Anwendung der Regelungen zur Schriftform verstärkt eher den Eindruck, dass die Textform nur für einseitige Erklärungen taugt. Auch in den Kommentierungen zum Verbraucherbauvertrag, der in Textform abgeschlossen werden kann, findet man bislang schlicht den Hinweis, die Textform müsse gewahrt werden.

Nach dem jüngst verabschiedeten Bürokratieentlastungsgesetz IV lässt das BGB nun für den Abschluss und die Änderung oftmals hochkomplexer und wirtschaftlich außerordentlich relevanter Gewerberaummietverträge die Wahrung der Textform genügen, ohne zu klären, wie Verträge in Textform geschlossen oder geändert werden. Das kann getrost als Schuss in den Ofen bezeichnet werden. Aber Bürokratieabbau hat mit dem Mond gemein, dass sich spontan eine große Fangemeinde hinter ihm versammelt. Deshalb fanden die Bedenken etwa des Mietgerichtstags und des Bundesrats kein Gehör. Spezialisierte Kanzleien, die bislang viel Energie in das Auffinden von Schriftformmängeln in einer Partei unliebsam gewordenen langfristigen Mietverträgen gesteckt haben, bekommen eine neue Spielwiese. Das Ausmaß an Rechtsunsicherheit erreicht sicher nicht die Sympathiewerte des Mondes oder eines Meisters der Herzen. Nicht nur die Landgerichte werden wohl zukünftig in Chatverläufen den magischen Moment des Konsenses der Vertragsparteien in der Gewerberaummiete suchen müssen. 

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Prof. Dr. Markus Artz ist Lehrstuhlinhaber und Direktor der Forschungsstelle für Immobilienrecht an der Universität Bielefeld sowie Vorsitzender des Deutschen Mietgerichtstages e. V..