Interview
Der Influencer-Anwalt
Foto_Interview_NJW_52_2021_Tim_Hendrik_Walter_WEB

Ein Anwalt als Social-Media-Star: Tim Hendrik Walter, Fachanwalt für Familienrecht aus Unna, der unter dem Pseudonym „Herr Anwalt“ etwa auf TikTok alltäg­liche Rechtsfragen beantwortet, die seinen überwiegend jungen Followern unter den Nägeln brennen – und damit eine beeindruckende Reichweite erzielt. Wir haben uns ihm über sein Erfolgsgeheimnis unterhalten.

1. Feb 2022

NJW: Wie viele Follower haben Sie insgesamt auf Ihren Social-Media-Accounts? Und welche Klickzahlen generieren Ihre Beiträge im Durchschnitt?

Walter: Insgesamt dürften das in etwa 5,5 Millionen Follower in Deutschland, Österreich und in der Schweiz sein. Der Durchschnitt ist schwer zu ermitteln, da die Plattformen so unterschiedlich sind. Videobeiträge erhalten in der Regel 100.000 bis 3.000.000 Aufrufe, Bildbeiträge weniger.

NJW: Können Sie unseren Lesern etwas über den ­Beginn Ihrer Internetaktivitäten erzählen? Wie kamen Sie auf die Idee?

Walter: Ich bin mit dem Internet groß geworden. Im Laufe der Zeit bin ich dann über die Gaming-Foren und über die sozialen Netzwerke bei Instagram gelandet und kam dort das erste Mal in Kontakt mit visuellen Medien. Irgendwann dachte ich mir, es wäre eine gute Idee, einen YouTube-Kanal zu erstellen, wo ich zunächst hauptsächlich über das Jurastudium und einige triviale Klassiker berichtet habe. Irgendwie wurde das dann mit der Zeit zu einer Gewohnheit, und heute ist dies neben der Juristerei meine zweite große Leidenschaft.

NJW: Wie reagieren die Kollegen auf Ihren Erfolg? ­Ernten Sie dafür eher Häme und Spott oder Bewun­derung und vielleicht sogar ein wenig Neid?

Walter: In der Regel erhalte ich positive Reaktionen. Wenn das mal nicht so ist oder wenn gar Kritik ge­äußert wird, kann ich damit gut leben.

NJW: Jura ist nicht unbedingt ein Thema, das sich bei ­jungen Leuten großer Beliebtheit erfreut. Wie ist es ­Ihnen gelungen, gerade diese Zielgruppe dafür zu begeistern?

Walter: Ganz einfach: mit Kommunikation auf Augenhöhe. Ich gehe außerdem mit einer gewissen Selbstironie an die Sache heran und habe, wie etwa andere Influencer, kein Team, welches die Videos plant. Das macht die Sache authentisch. Jedes Video trägt meine persönliche Handschrift und Note. Des Weiteren habe ich auch keine Probleme damit, mich zu verkleiden, in den Videos teilweise in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen und mal etwas auszuprobieren. Mit der Zeit entwickelt man so unterbewusst ein Gefühl dafür, wie man etwas darstellen kann, damit andere, namentlich die jungen Leute, sich dafür interessieren.

NJW: Statt via Social Media hätten Sie die Fragen, die Sie erreichen, auch auf einem Blog beantworten können. Was reizt einen Anwalt an TikTok & Co.?

Walter: Die Neugierde und die Freude am Schaffen. In meinem Metier dauert es lange, bis ein Fall zu Ende ist. Es fällt dann schwer, einmal zurückzutreten und „sein Werk“ zu betrachten. Klar kann auch ein erfolgreich geführter Prozess ein Erfolgserlebnis darstellen. Aber nachts zu sehen, dass man einen audiovisuellen Beitrag allein mit der Kraft seiner Fantasie zum Leben erweckt hat, verschafft mir eine große Befriedigung.

NJW: Wirkt sich Ihre Aktivität auf Ihre klassische Anwaltstätigkeit aus, und wenn ja, wie?

Walter: Eigentlich gar nicht. Ich gehe von morgens bis abends ganz normal meiner Tätigkeit als Anwalt im Familienrecht nach. Ich will mich auch nicht zum „Anwaltsunternehmer“ wandeln, und für mehr Mandate hätte ich persönlich keine Zeit. Ich möchte also keine Mandate generieren und dann zahlreiche junge Kollegen einstellen. Dann bräuchte ich wahrscheinlich auch erst einmal ein paar studentische Mitarbeiter, die die Fälle filtern. Klar gibt es Kontaktversuche von hart­näckigen Followern. In der Regel handelt es sich aber um Fälle, die entweder besser bei der Verbraucherzentrale aufgehoben sind, oder für die es mittlerweile gute Legal-Tech-Angebote gibt. Ein paar Mandanten erzählen mir manchmal, dass sie mich irgendwo gesehen hätten. Die meisten finden es gut, dass man mit der Zeit geht.

NJW: Mittlerweile sind Sie auch unter die Autoren ­gegangen und erklären in dem Buch „#5Minuten Jura“ Recht einfach. Wer aus Ihrer Zielgruppe liest denn heute noch ein Buch? Oder anders gefragt: Wie passt das zu Ihren Online-Aktivitäten?

Walter: Tatsächlich haben das Buch mittlerweile gar nicht so wenige gelesen. Gleich nachdem es erschienen ist, stand es auf der Spiegel-Bestsellerliste. Das hat mich sehr gefreut. Mir ging es dabei ganz einfach darum, einmal den Prozess des Schreibens kennen­zulernen. Es war neben der anwaltlichen Tätigkeit und meiner zweiten Leidenschaft, sprich der Influencer-­Aktivitäten, eine ziemliche Herausforderung, die Dinge noch einmal anders zu verpacken. Aber wenn ich von jungen Leuten ein Bild zugesandt bekomme, mit dem sie mir mitteilen, dass sie das Buch von ihren Eltern zu Nikolaus geschenkt bekommen habe, freut mich das sehr.

Tim Hendrik Walter, in den sozialen Medien besser bekannt als „Herr Anwalt“, studierte Jura in Bochum. Nach Referendariat und Zweitem Staatsexamen wurde er 2014 zur Anwaltschaft zugelassen. Seit 2018 ist er Fachanwalt für Familienrecht, im Oktober 2020 wurde er zum Notar bestellt. Seinen ersten Videoclip publizierte „Herr Anwalt“ Mitte November 2019 auf TikTok. Innerhalb weniger Monate folgten ihm dort über eine Million Follower.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.