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Der Fünf-nach-Zwölf-Anwalt
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picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Als Anwalt wird Peter Gauweiler gerufen, wenn ein „Mann fürs Grobe“ gesucht wird. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter der CSU war er durch seine beharrlichen Klagen ­gegen Euro und EZB ein Exot in der Unionsfraktion. Und in seiner Anfangszeit als Politiker galt er als der „schwarze Peter“, weil er als Staatssekretär in München Zwangsmaßnahmen gegen Aids-Kranke vorantrieb.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 10. Aug 2021.

Mit altem Kampfgefährten entzweit

Wenn man den 72-jährigen Advokaten mit einem einzigen Adjektiv beschreiben müsste, bliebe wohl nur das Wörtchen „schillernd“. Lange zog er mit seinem Sozius Wolf-Rüdiger Bub gemeinsam in die Schlacht, etwa als es im Fall des verstorbenen Medienmoguls Leo Kirch gegen die Deutsche Bank ging – die am Ende einknickte und dessen Erben einschließlich der Zinsen fast eine Milliarde Euro zahlte. Vor zwei Jahren entzweiten sich die beiden Kampfgefährten. Doch dann geriet Gauweilers neuer Sozius Alfred Sauter wegen fragwürdiger Millionen-Provisionen, die der frühere Justizminister des Freistaats neben seinem CSU-Landtagsmandat beim Verkauf von Corona-Schutzmasken kassiert haben soll, heftig in die Schlagzeilen.

Verstärkung hat der Haudegen Gauweiler sich von ganz unerwarteter Seite geholt: Der frühere BGH-Vorsitzende Thomas Fischer, selbst eine facettenreiche Persönlichkeit, hilft ihm nun als Of Counsel in der Cum-Ex-Affäre ebenso vor Gericht wie vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bei der Verteidigung der Privatbank M. M. Warburg. Auch dem ­Regisseur Dieter Wedel stehen sie gegen „MeToo“-Vorwürfe gemeinsam zur Seite. Dass er auch im Familienstreit des verschollenen Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub mandatiert wurde, zeigt sein breites Spektrum in einer Zeit, die sonst zur Spezialisierung drängt.

Zugleich ist Gauweiler eine genauso barocke Figur wie sein Ambiente. Mit seiner Kanzlei residiert er im Herzen der Münchener Innenstadt, direkt am Lenbachplatz, nebenan von Stachus und Maximiliansplatz. Das Gebäude – das Bernheimer-Palais – wurde 1888 von Friedrich von Thiersch errichtet; zwischenzeitlich gehörte es dem kriminellen Baulöwen Jürgen Schneider und ähnelt dem Münchener Justizpalast, den der Architekt und Maler ebenfalls kreiert hat. Von dem kleinen Balkon vor seinem Arbeitszimmer aus hat der Anwalt Frauen- und Theatinerkirche mit den Zwiebelhaubentürmen im Blick. „Ich bin Geschäftsführer einer Anwalts-Boutique, die ab und an Law Firms beschäftigt“, sagt er ohne übertriebene Bescheidenheit.

Aufsehenerregende Mandate

Er sieht den Zeitpunkt seiner Einschaltung meistens „Fünf-nach-Zwölf“. Die Deutsche Bank zwang er schon 2007 einmal zur Zahlung von 150 Millionen Euro im Zuge der Pleite des Baukonzerns Holzmann. Im Streit um die Macht mit Firmengründer Erich Kellerhals setzte die Elektronikmarktkette Media-Saturn die Edeladvokaten von Hengeler Mueller vor die Tür und mandatierte Bub Gauweiler, als sie zu verlieren drohte. Der schließlich freigesprochene Gründer einer Kette von Medizinlaboren (zudem Gegenstand eines Landtags-­Untersuchungsausschusses), Bernd Schottdorf, baute ebenso auf die Kanzlei wie die Manager Tom Enders (Airbus) und Wolfgang Hatz (Audi), der Ex-Minister­präsident von Baden-Württemberg Stefan Mappus (CDU), der Ölstaat Katar im Zwist mit Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger sowie der Zahlungsdienstleister Wirecard, kurz bevor dessen Milliarden-Bilanzschwindel aufflog.

Eine pralle Fotogalerie an der Wand bebildert seine abwechslungsreiche Vita, er nennt sie sein Poesiealbum: Zu sehen sind sein Vorbild Franz Josef Strauß, seine seit 31 Jahren angetraute Ehefrau Eva („Am Tag einer meiner zahlreichen Rücktritte, und sie schaut dabei nicht unzufrieden aus“), bayerische Gebirgsschützen mit Stopselhüten, Säbeln und Karabinern, Oskar Lafontaine von den Linken („Ein alter guter Freund“), eine Audienz bei Papst Johannes Paul II. zum 70. Geburtstag von Kardinal Ratzinger, eine Pressekonferenz von ihm im BVerfG („Da bin ich fast schon Stammkunde“).

Gauweilers hartnäckiges Engagement gegen Euro- und Staatenrettung wurde von seinen Abgeordnetenkollegen im Bundestag nicht ohne Argwohn betrachtet. „Die Stimmung bei uns in der Fraktion war nicht besonders gut, weil viele Kollegen das schon als schwierig empfunden haben“, verrät ein Parlamentarier der Union. In der Öffentlichkeit stießen überdies seine beträchtlichen Nebeneinkünfte, die er dort von 2002 bis 2015 erzielte, auf Misstrauen. Laut abgeordnetenwatch.de war er etwa mit fast einer Million Euro allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2014 Spitzenreiter unter den Volksvertretern, wobei dies nur die meldepflichtigen Einkünfte beinhaltet.

Fragt man einen seiner langjährigen Kontrahenten im Gerichtssaal, fällt die Einschätzung unerwartet vielschichtig aus. Gauweiler sei immer professionell und angenehm im Umgang, sagt ein Litigator, der oft mit ihm die Klinge gekreuzt hat – „ein Mensch mit tiefsitzendem Humor“. Persönlich habe man sich stets gut verstanden. Zwar sei er gewiss kein guter Jurist: „Aber was ihn auszeichnet, ist eine hervorragende Menschenkenntnis.“ In den Hauptverhandlungen sei er eher der „Typ Volkstribun“, der seine Nase in die dortige Stimmung halte. Vorrangig denke Gauweiler in strafrechtlichen Kategorien. Anrüchig sei allerdings die Verquickung anwaltlicher Mandate und politischer Strippenzieherei des ehemaligen CSU-Vize.

Prominenter Of Counsel

Im Streit mit dem damaligen Parteichef Horst Seehofer um Finanzhilfen für das überschuldete Griechenland legte Gauweiler diesen Posten nieder und gab auch seinen Sitz im Parlament auf. Dennoch versichert er im Gespräch mit der NJW: „Ich bin ein CSU’ler, bis ich sterbe. Ich habe sieben Vorsitzende erlebt und bin schon über ein halbes Jahrhundert dabei.“ Spricht man mit dem Juristen mit seiner vielfältigen Laufbahn, drängen sich allerhand Fragen auf. Beispielsweise: Wie weit hat er selbst die Schriftsätze seiner professoralen Rechtsvertreter in Karlsruhe verfasst? „Das geht nicht: Schriftsätze unter ihrem Namen verfassen die allein“, sagt er. Sollte er sich wegen der Maskenaffäre nicht von seinem neuen Sozius Sauter trennen? 1979 vor der Politkarriere war er schon einmal beruflich verpartnert mit ihm, erfährt man, und Gauweiler war zusammen mit dem späteren Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) sogar Trauzeuge bei Sauters Heirat. „Er bot mir umstandslos seinen Rückzug an, doch das kam nicht infrage. Ich dachte: Zu spät, Du rettest den Freund nicht mehr, und diese Geschichte ging ja auch gut aus“, paraphrasiert Gauweiler lachend einen Satz von Friedrich Schiller. Hätte er die Maskengeschäfte denn vermitteln sollen? Im Nachhinein betrachtet natürlich nicht, sagt Gauweiler dazu bloß. Wie bewertet er den Seitenwechsel des früheren BGH-Vorsitzenden Fischer, der zuvor schon von Karlsruhe an den Starnberger See gezogen war, wo auch Gauweiler lebt? Schließlich hatte der führende StGB-Kommentator und streitbare Kolumnist einst einen Aufsatz mit der Überschrift: „Zehn Gründe, warum ich froh bin, nicht Strafverteidiger geworden zu sein“ veröffentlicht. Gauweiler dazu: „Sein nächster Aufsatz trägt die Überschrift: ‚Zwölf Gründe, warum ich froh bin, Verteidiger zu sein‘ “, habe Fischer ihm schon angekündigt.

Einst ein Mann der Exekutive

Dabei begann seine Laufbahn im öffentlichen Dienst als „Law and Order“-Mann: Als Kreisverwaltungsreferent entzog er einem Wiesnwirt im Kampf gegen die „Oktoberfest-Mafia“ die Schankerlaubnis. Sein spektakuläres Vorgehen gegen Schankbetrug als „schwarzer Sheriff“ stützte er auf das Gaststättengesetz – so wie später als Innenstaatssekretär seinen vom Kabinett verabschiedeten Maßnahmenkatalog gegen Aids mit Zwangstests von Prostituierten und Fixern auf HIV auf das Bundesseuchengesetz, das mittlerweile vom Infektionsschutzgesetz abgelöst wurde und aktuell eine zentrale Rolle im Kampf gegen Corona spielt. Auch seine Polizeieinsätze bei der im Bau befindlichen Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf trugen ihm bundesweit Vorwürfe ein. 1988 verlor der leidenschaft­liche Trachtenjanker- und Lederhosen-Träger die Zuständigkeit für Gesundheit und Polizeiwesen, zwei Jahre später rückte er dann zum Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen auf. Die linksstehende taz titelte 1991 zu einem Konflikt über ein bayerisches Müllkonzept: „Gauweiler umarmt Bürgerinitiative“.

Als flammender Redner fällt der Vater von vier Kindern (der älteste Sohn ist mittlerweile in die Kanzlei eingetreten) und erstmalig frisch gebackener Großvater im Kontakt eher nicht auf. Zunächst fast stockend-vorsichtig, zeigen sich erst langsam seine Talente. So wenn er anfängt, pantomimisch-schauspielerisch mit einer Trommelgeste die Publizitätssucht eines Branchen­kollege zu illustrieren oder jemanden beim Zitieren nachahmt. All dies unterlegt mit seinem bajuwarischen ­Dialekt, wenn er „weißeln“ sagt statt „weißen“ oder „do“ statt „da“ – Volksnähe mit einem Schuss Weiß-Blau.