NJW: Wird es insgesamt risikoreicher, für den Staat zu arbeiten?
Poseck: Das ist leider so. Der Einsatz für den Staat verdient Schutz. Wer sich für andere Menschen und die Gesellschaft einsetzt, muss sich auf sichere Rahmenbedingungen verlassen können. Polizei- und Rettungskräfte waren schon immer Risiken bei ihren wichtigen, oft lebensrettenden Tätigkeiten ausgesetzt. Wir erleben aber nun eine neue Dimension der Gefährdungen, die in der Silvester-Nacht in Berlin, aber auch zuletzt in Lützerath ein besonders hässliches Gesicht gezeigt hat. Wir sehen auch in unserer Statistik eine Zunahme von Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte. Die Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gemäß §§ 113 bis 115 StGB haben bei den hessischen Staatsanwaltschaften von 2.084 im Jahr 2020 auf 2.233 im Jahr 2022 und damit um gut 7 % zugenommen. Die Zahl der Verurteilungen ist im gleichen Zeitraum um 17 % angestiegen.
NJW: Trifft die Entwicklung auch Justizbedienstete?
Poseck: Die Justiz ist ebenfalls damit konfrontiert, dass es immer mehr Gruppen und Menschen gibt, die dem Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten ablehnend und zum Teil auch angriffsbereit gegenübertreten. Die Erfahrungen mit Verfahren, an denen Reichsbürger beteiligt sind, sind dafür ein Beispiel. Zu körperlichen Übergriffen kommt es zum Glück nur selten, aber Beleidigungen und Bedrohungen sind für viele Justizbedienstete inzwischen an der Tagesordnung. Die Sicherheitsstandards sind in den Justizgebäuden deutschlandweit hoch. Das hilft, Übergriffen vorzubeugen. Die größten Risiken tragen Berufsgruppen in der Justiz, die den Rechtsstaat außerhalb des geschützten Bereichs der Justizgebäude repräsentieren und durchsetzen, an erster Stelle die Gerichtsvollzieher.
NJW: Der Deutsche Beamtenbund forderte nach den Übergriffen in der Silvesternacht, Staatsdiener besser zu schützen. Dazu brauche es konsequente Strafverfolgung. Wäre es nicht besser, präventiv anzusetzen?
Poseck: Prävention und Repression sind gleichermaßen wichtig und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Rechtsstaat muss auf die Angriffe konsequent reagieren, auch mit den Mitteln des Strafrechts. Deshalb richten wir in Hessen bei den Staatsanwaltschaften Sonderdezernate zur Verfolgung von Straftaten gegen Amtsträgerinnen und Amtsträger ein. Es muss aber selbstverständlich ebenso darum gehen, Ursachen der Übergriffe zu benennen und zielgerichtete Präventionsarbeit zu betreiben. Dazu gehört auch eine Betrachtung der Tätergruppen – ohne Tabus, aber auch ohne simple Klischees. Mir ist wichtig, dass wir unsere Feierkultur bewahren können. Auch deshalb muss gehandelt werden.
NJW: Sind auch Gesetzesverschärfungen nötig?
Poseck: Zunächst gilt es, den Rahmen des geltenden Strafrechts konsequent anzuwenden und, falls erforderlich, auch auszuschöpfen. Besonders schwere Fälle des Widerstands, beispielsweise beim Einsatz von Waffen und gefährlichen Werkzeugen, können schon heute mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden. In Hessen sind bereits Freiheitsstrafen ohne Bewährung in Fällen verhängt worden, in denen Polizisten gezielt in einen Hinterhalt gelockt und dann angegriffen wurden. Einer Diskussion, ob für solche oder andere besonders verwerfliche Fälle neue Regelbeispiele oder Qualifikationen mit höherer Strafdrohung geschaffen werden sollten, stehe ich offen gegenüber.
NJW: Würde eine schnellere Verurteilung der Täter bei bestimmten anlassbezogenen Gewaltdelikten unter Präventionsgesichtspunkten etwas bringen?
Poseck: Die Justiz sollte bemüht sein, die Verfahren so zügig wie möglich zu führen. Ein schnelles Handeln des Rechtsstaats hat eine Signalwirkung. Ich verstehe aber auch die Hinweise aus der Praxis, dass die Ermittlungsarbeit in vielen Fällen aufwändig ist. Die Beweislage ist häufig schwierig. Es sind nicht selten komplizierte Auswertungen von Videoaufnahmen und Zeugenvernehmungen erforderlich. An der Sorgfalt des Rechtsstaats führt auch in diesen Fällen kein Weg vorbei.
NJW: Wie ließe sich der Schutz von Sicherheits- und Rettungskräften im Einsatz verbessern?
Poseck: Das ist ein schwieriges Thema. Eine bessere Eigensicherung ist wichtig und sollte von den jeweils betroffenen Bereichen geprüft werden. Insoweit vermag ich nicht für Rettungsdienste und Polizei zu sprechen. Es dürfte aber nicht selten der Quadratur des Kreises gleichkommen, den Erfolg des Einsatzes und den Eigenschutz gleichermaßen zu berücksichtigen. In der Justiz muss ein Schwerpunkt auf dem Schutz der Gerichtsvollzieher liegen. Die Ausstattung mit Schutzwesten gehört bei dieser Berufsgruppe – ebenso wie bei Justizwachtmeistern – inzwischen zum Standard. Außerdem testen wir im Landgerichtsbezirk Kassel zurzeit mobile Alarmgeräte für Gerichtsvollzieher.
NJW: Werden auch Richter und Staatsanwälte ausreichend geschützt?
Poseck: Grundsätzlich ja. Das Problem ist natürlich, dass sich Gefährdungen nicht immer voraussagen lassen. Wie schon gesagt, die Justizgebäude verfügen allgemein über einen hohen Sicherheitsstandard, zum Beispiel durch Schleusen in den Eingangsbereichen. Bei Bedarf erhalten Richter und Staatsanwälte auch weitergehenden Schutz. Wichtig ist es, die Lage sorgfältig zu beobachten und auf Gefährdungen in Einzelfällen situationsangemessen zu reagieren.
NJW: Welche Sicherheits- bzw. Schutzmaßnahmen kommen unter welchen Voraussetzungen in Betracht?
Poseck: Eine allgemeine Antwort ist kaum möglich, weil die Fälle unterschiedlich sind und Sicherheits- bzw. Schutzmaßnahmen immer einzelfallbezogen festgelegt werden müssen. Je größer und konkreter eine Gefährdung ist, umso umfangreicher sind die Maßnahmen. Sie können bis zum Schutz von Wohnungen durch Umbaumaßnahmen, regelmäßige Bestreifungen oder auch direkten Personenschutz durch die Begleitung von Sicherheitskräften reichen.
NJW: Wer entscheidet über das Ob und Wie der Maßnahmen?
Poseck: In Hessen liegt die Hauptverantwortung hierfür bei der Polizei, die natürlich von den Betroffenen und den Justizbehörden Informationen erhält. Die Polizeipräsidien und das Landeskriminalamt sind für die Gefährdungsbeurteilung zuständig, aus der dann eventuell erforderliche individuelle Maßnahmen abgeleitet werden. Auch der potenzielle Angreifer steht im Fokus. Nicht selten kommt es nach Drohschreiben zu Gefährderansprachen seitens der Polizei. Außerdem wird der Betroffene in die Maßnahmen eingebunden. Er sollte sie mittragen.
NJW: Und wer bezahlt diese Maßnahmen?
Poseck: Auch das hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Allgemein übliche Sicherheitsmaßnahmen, zum Beispiel der Einbau von Fenstern mit Schließzylindern, können dem Betroffenen zur Last fallen. Für Maßnahmen, die darüber hinausgehen und nur aufgrund der beruflichen Tätigkeit erforderlich werden, übernimmt der Dienstherr dagegen in der Regel die Kosten.
NJW: Laut einer dpa-Meldung sicherte die nordrhein-westfälische Justiz kürzlich das Wohnhaus eines Staatsanwalts wegen einer besonderen Bedrohungslage für 860.000 Euro ab. Ist so etwas nach Ihrer Erfahrung ein krasser Einzelfall oder kommt so etwas häufig vor?
Poseck: Zum Glück ist das kein Regelfall, sondern eine seltene Ausnahme. Wenn es die Bedrohungslage erforderlich macht, darf der Staat aber weder Kosten noch Mühen scheuen. Das sind wir den Menschen schuldig, die sich für unseren Rechtstaat und seine Werte engagieren.
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