Urteilsanalyse
Der Berliner Mietendeckel ist nichtig
Urteilsanalyse
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Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11.02.2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 22.02.2020, Seite 50) ist nach Ansicht des BVerfG mit Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG iVm Art. 72 I GG unvereinbar und nichtig.

22. Apr 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 08/2021 vom 22.04.2021

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Sachverhalt

Das MietenWoG Bln trat – mit Ausnahme des § 5 MietenWoG Bln – am 23.02.2020 in Kraft. Der „Berliner Mietendeckel“ besteht für die von seinem Anwendungsbereich erfassten Wohnungen im Wesentlichen aus drei Regelungskomplexen: einem Mietenstopp, der eine Miete verbietet, die die am 18.06.2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet (vgl. §§ 1, 3 MietenWoG Bln), einer lageunabhängigen Mietobergrenze bei Wiedervermietungen (vgl. §§ 1, 4 MietenWoG Bln), wobei gebäude- und ausstattungsbezogene Zuschläge sowie bestimmte Modernisierungsumlagen erlaubt sind (§§ 1, 4 iVm §§ 6, 7 MietenWoG), sowie einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten (§§ 1, 5 MietenWoG Bln). Auf Neubauten, die ab dem 01.01.2014 erstmalig bezugsfertig wurden, finden die Vorschriften des MietenWoG Bln dagegen keine Anwendung.

Die Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (Abgeordnete des Deutschen Bundestages der Fraktionen von CDU/CSU und FDP) halten das MietenWoG Bln für unvereinbar mit der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen (Art. 70 ff. GG). Die beiden Richtervorlagen (2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20) betreffen die Vereinbarkeit von § 3 MietenWoG Bln mit dem Grundgesetz.

Entscheidung

Das MietenWoG Bln ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG iVm Art. 72 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig.

Das Grundgesetz gehe von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern aus. Abgrenzung und Inhalt der Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Ländern richteten sich dabei ausschließlich nach Art. 70 ff. GG. Die Gesetzgebungskompetenzen würden insbesondere mittels der Kataloge der Art. 73 und Art. 74 GG durchweg alternativ voneinander abgegrenzt. Doppelzuständigkeiten seien dem Grundgesetz in der Regel fremd. Der Bund habe demnach das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz ihm dieses ausdrücklich zuweise. Der Kompetenzbereich der Länder werde daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder kenne das Grundgesetz nicht. Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen seien zwar zulässig, gewährten den Ländern aber keine über die Öffnung hinausgehenden Spielräume.

Die konkurrierende Gesetzgebung regele das Grundgesetz im Wesentlichen in den Art. 72 und Art. 74 sowie Art. 105 GG abschließend. Mache der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, stünden den Ländern gem. Art. 72 Abs. 1 GG keine Gesetzgebungskompetenz zu. Regelungen zur Miethöhe für ungebundenen Wohnraum fielen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht iSv Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.

Das Recht der Mietverhältnisse sei seit dem Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gelte auch für die Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Mit den §§ 556 bis 561 BGB habe der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

Schon Regelungsintensität und Regelungsdichte der bundesgesetzlichen Vorschriften legten nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handle. Die §§ 556 ff. BGB enthielten zudem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden.

Seit dem Mietrechtsreformgesetz aus dem Jahre 2001 habe der Bundesgesetzgeber Regelungen der Miethöhe allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt. Mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 21.04.2015 seien zudem die in den §§ 556d ff. BGB geregelte Mietpreisbremse erstmals in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen worden. Der Begründung des Gesetzentwurfs lasse sich eine umfassende Abwägung aller berührten Belange entnehmen, und damit das Ziel eines abschließenden Interessenausgleichs zwischen den Mietvertragsparteien, der in der Folgezeit mehrfach nachjustiert worden sei. Spätestens mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz habe der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt. In den vergangenen sechs Jahren habe er auf die sich verschärfende Wohnungssituation in den Ballungsgebieten reagiert und versucht, mit detaillierten Regelungen einen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der Vermieter und der Mieter zu gewährleisten und hierdurch die Mietpreisentwicklung in angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen.

Der „Berliner Mietendeckel“ und die bundesgesetzliche Mietpreisbremse regelten im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum.  Das MietenWoG Bln verenge dabei allerdings die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Parteien des Mietvertrags und führe ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein; es statuiere gesetzliche Verbote iSv § 134 BGB, die die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach den §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzten. Das MietenWoG Bln modifiziere somit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebe die von diesem vorgenommene Austarierung der beteiligten Interessen.

Die Beschränkungen des MietenWoG Bln träten neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gemäß §§ 556d ff. BGB. Da die §§ 556 ff. BGB die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum jedoch abschließend regelten, fehle dem Land Berlin insoweit die Gesetzgebungskompetenz.

Praxishinweis

Nachdem bereits eine Vielzahl von Autoren (zB Schede/Schuldt NVwZ 2019, 1572; Abramenko BlnAnwBl 2019, 418; Beuermann GE 2019, 841), Gutachter (zB Papier, Rechtsgutachtliche Stellungnahme im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW), September 2019 zum RefE Stand 30.08.2019 (abrufbar unter https://web.gdw.de/uploads/pdf/Pressemeldungen/Gutachten_Mietendeckel_Zustaendigkeit.pdf) und die 67. Kammer des LG Berlin (Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274/19, NZM 2020, 368, 369 Rn. 20) die Verfassungswidrigkeit des „Berliner Mietendeckels“ erkannt hatte, war mit der vorliegenden Entscheidung zu rechnen.

Mit Spannung wurde erwartet, ob das BVerfG – bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit – den Mietendeckel für nichtig oder lediglich für unanwendbar erklärt, verbunden mit einer Weitergeltungsanordnung bis zu einem Zeitpunkt, der eine geregelte Überleitung von Rechtsverhältnissen erlaubt. Mit Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Nichtigkeitserklärung (Nachzahlung der zu wenig gezahlten Mieten) hatten Mieter auf die letztgenannte Lösung gehofft, der das BVerfG nun aber eine Absage erteilt hat.

Dies ist insoweit konsequent, als das BVerfG bereits mit Beschluss vom 10.03.2020 (1 BvQ 15/20, NJW 2020, 1202 Tz. 27) auf eine Nichtigkeit hingedeutet hatte, indem es klarstellte, dass in diesem Fall vereinbarte sog. Schattenmieten – Klauseln im Mietvertrag, wonach bei Verwerfung des Mietendeckels durch das BVerfG von vornherein eine höhere Miete als vereinbart gilt – bei Neuvermietung zulässig sind. Konsequent ist die Entscheidung aber auch deswegen, weil Unvereinbarkeitserklärungen mit befristeter Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung in erster Linie dem Schutz der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit dienen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433, 2434/04, NZS 2008, 198, 208 Rn. 91); der Gesetzgeber soll hierdurch die Möglichkeit erhalten, Im Wege der Nachbesserung die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungskonforme zu ersetzen. Dies ist aber bei fehlender Gesetzgebungskompetenz – wie vorliegend – nicht möglich.

Die Folgen dieser Entscheidung sind indes für die betroffenen Mieter gravierend, da sie die zu wenig gezahlte Miete zurückzahlen müssen und ihnen sonst die fristlose Kündigung droht. Die ersten Großvermieter und die städtischen Wohnungsunternehmen Berlins haben unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung angekündigt, die Mietforderungen nicht geltend zu machen; die Organe dieser Unternehmen sind gut beraten, den großherzigen Umgang mit dem Ihnen anvertrauten fremden Vermögen unter straf- und zivilrechtlichen Aspekten prüfen zu lassen. Nur Vermieter, die über ihr eigenes Vermögen befinden, sind hier in ihrer Entscheidung frei.

BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 - 2BvF1/20, 2BvL5/20, 2BvL4/20 (AG Berlin-Mitte), BeckRS 2021, 7204