Urteilsanalyse

Der auf einer psy­chi­schen Er­kran­kung des Mie­ters be­ru­hen­de Zah­lungs­ver­zug recht­fer­tigt keine or­dent­li­che Kün­di­gung des Miet­ver­hält­nis­ses
Urteilsanalyse
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Die neben der frist­lo­sen Kün­di­gung hilfs­wei­se er­klär­te frist­ge­bun­de­ne Kün­di­gung des Wohn­raum­miet­ver­trags kommt nach Zah­lung des Miet­rück­stands und Hei­lung der frist­lo­sen Kün­di­gung nach einem Ur­teil des AG Müns­ter auch dann nicht zum Tra­gen, so­weit der Mie­ter sich da­hin­ge­hend ent­las­ten kann, dass seine Zah­lungs­un­fä­hig­keit in­fol­ge einer psy­chi­schen Er­kran­kung un­ver­schul­det ein­ge­tre­ten ist.

26. Mai 2021

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Prof. Dr. Wolf-Rü­di­ger Bub und Rechts­an­walt Ni­ko­lay Pra­ma­tar­off
Rechts­an­wäl­te Bub, Mem­min­ger & Part­ner, Mün­chen, Frank­furt a.M.

Aus beck-fach­dienst Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht 10/2021 vom 20.05.2021

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Der seit 2004 in der Miet­woh­nung le­ben­de be­klag­te Mie­ter ent­rich­te­te in einem Zeit­raum von ca. 6 Mo­na­ten die Miete nur teil­wei­se oder gar nicht. Bis dahin hatte er stets frist­ge­recht ge­zahlt und ist auch sonst sei­nen ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen nach­ge­kom­men. Dar­auf­hin kün­dig­te ihm die Ver­mie­te­rin frist­los, hilfs­wei­se or­dent­lich. In­ner­halb der Schon­frist zahl­te der Mie­ter die aus­ste­hen­den Mie­ten nach. Er be­grün­det sei­nen Zah­lungs­ver­zug mit sei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung, auf­grund des­sen er im be­sag­ten Zeit­raum nicht in der Lage ge­we­sen sei zu ar­bei­ten, sich Hilfe zu holen und recht­zei­tig die Miete zu zah­len. Auf­grund sei­ner De­pres­si­on habe er nicht schuld­haft ge­han­delt. Der Ver­mie­ter erhob Räu­mungs­kla­ge.

Ent­schei­dung

Die Klage hat kei­nen Er­folg.

Das Miet­ver­hält­nis sei nicht auf­grund der er­klär­ten frist­lo­sen Kün­di­gung be­en­det. Die frist­lo­se Kün­di­gung des Miet­ver­hält­nis­ses wegen Zah­lungs­ver­zu­ges im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 3 a) BGB sei gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB un­wirk­sam ge­wor­den, da der Be­klag­te sämt­li­che Rück­stän­de in­ner­halb einer Frist von zwei Mo­na­ten nach Rechts­hän­gig­keit des Räu­mungs­an­spru­ches be­gli­chen habe.

Auch sei das Miet­ver­hält­nis nicht auf­grund der hilfs­wei­se aus­ge­spro­che­nen or­dent­li­chen Kün­di­gung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB be­en­det, da der Be­klag­te seine ver­trag­li­che Pflicht zur Zah­lung des mo­nat­li­chen Miet­zin­ses nicht schuld­haft im Sinne der Vor­schrift ver­letzt habe.

Dies stehe nach Ein­ho­lung des schrift­li­chen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens sowie nach An­hö­rung des Be­klag­ten zur Über­zeu­gung des Ge­richts fest.

Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me konn­te je­den­falls fest­ge­stellt wer­den, dass der Be­klag­te in der be­tref­fen­den Zeit der auf­ge­lau­fe­nen Zah­lungs­rück­stän­de auf­grund sei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung so­wohl in sei­ner Er­werbs­fä­hig­keit wie auch in der Fä­hig­keit, sich um Hil­fe­stel­lung zu be­mü­hen, er­heb­lich ein­ge­schränkt ge­we­sen sei. Der Sach­ver­stän­di­ge – Arzt für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie – sei zum Er­geb­nis ge­langt, dass der Be­klag­te vom Som­mer bis in den Herbst 2019 dia­gnos­tisch an einer schwe­ren de­pres­si­ven Epi­so­de ge­lit­ten habe. Dies habe sich in die jah­re­lan­ge Krank­heits­ge­schich­te des Be­trof­fe­nen ein­ge­fügt. In­fol­ge der de­pres­si­ven Epi­so­de habe eine schwe­re An­triebs­lo­sig­keit, Freud­lo­sig­keit und ko­gni­ti­ve Ver­zer­rung des Selbst­bil­des des Be­klag­ten vor­ge­le­gen. Der Be­klag­te er­schien hoff­nungs­los bis hin zur Sui­zi­da­li­tät, er habe in einer de­pres­si­ven Pas­si­vi­tät ver­harrt. Wei­ter­hin habe er Kon­zen­tra­ti­ons- und Ge­dächt­nis­stö­run­gen ge­habt, wie sie auch bei de­pres­si­ven Epi­so­den häu­fig an­zu­tref­fen seien. Dem Be­klag­ten sei es daher krank­heits­be­dingt nicht mög­lich ge­we­sen, seine An­ge­le­gen­hei­ten zu re­geln oder ad­äquat auf An­for­de­run­gen von außen zu re­agie­ren. Es sei davon aus­zu­ge­hen, dass der Be­klag­te krank­heits­be­dingt in den Som­mer­mo­na­ten bis zum frü­hen Herbst hin­ein nicht in der Lage ge­we­sen sei, sei­ner frei­be­ruf­li­chen Tä­tig­keit als Jour­na­list nach­zu­ge­hen oder, wie sonst üb­lich, Re­dak­ti­ons­ver­tre­tun­gen in an­de­ren Be­rei­chen durch­zu­füh­ren. Es könne mit sehr hoher Wahr­schein­lich­keit davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass der Be­klag­te im oben ge­nann­ten Zeit­raum voll­stän­dig ar­beits­un­fä­hig ge­we­sen sei und krank­heits­be­dingt auf­grund sei­ner emp­fun­de­nen Aus­weg­lo­sig­keit auch nicht in der Lage ge­we­sen sei, Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen beim Job­cen­ter zu be­an­tra­gen oder seine An­ge­le­gen­hei­ten selbst­stän­dig und unter Rea­li­sie­rung der tat­säch­li­chen Not­wen­dig­kei­ten zu re­geln.

Dies lasse die Pflicht­ver­let­zung des Be­klag­ten aus dem Miet­ver­trag mit der Klä­ge­rin in einem „mil­de­ren Lich­te" er­schei­nen. In­so­fern stel­le sich die von dem Be­klag­ten be­gan­ge­ne Pflicht­ver­let­zung der Nicht­zah­lung der Mie­ten im Som­mer 2019, die Grund­la­ge der er­klär­ten Kün­di­gung waren, auch unter Be­rück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen der Klä­ge­rin als nicht der­art gra­vie­rend dar, dass dies die Kün­di­gung des Miet­ver­hält­nis­ses recht­fer­tig­te.

Pra­xis­hin­weis

Der Ent­schei­dung ist zu­zu­stim­men.

Gem. § 572 Abs.1 BGB kann der Ver­mie­ter das Miet­ver­hält­nis nur or­dent­lich kün­di­gen, wenn er hier­an ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se hat, das gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ins­be­son­de­re dann vor­liegt, wenn der Mie­ter seine ver­trag­li­chen Pflich­ten schuld­haft nicht un­er­heb­lich ver­letzt hat.

Das Ver­schul­den ent­fällt, wenn der Mie­ter nicht schuld­fä­hig ist, vgl. §§ 276 Abs. 1 Satz 2, 827 BGB (Sieg­mund in Be­ck­OK MietR, 01.02.2021, BGB § 573 BGB Rn. 11). Es reicht je­doch auch aus, wenn – wie hier – der Mie­ter den Nach­weis einer er­heb­li­chen psy­chi­schen Krank­heit er­bringt, ohne dass das Gut­ach­ten ex­pli­zit seine Schuld­un­fä­hig­keit be­schei­nigt, da – wie das Ge­richt zu­recht fest­stellt – es auf die Er­heb­lich­keit der Pflicht­ver­let­zung an­kommt und diese durch die zu­min­dest ge­min­der­te Schuld­fä­hig­keit nicht ge­ge­ben ist. So hat das LG Ber­lin in einem sehr ähn­lich ge­la­ger­ten Fall ent­schie­den (Ur­teil vom 16.06.2016 – 67 S 125/16, NZM 2017, 361), dass eine ver­schul­de­te, je­doch krank­heits­be­ding­te Pflicht­ver­let­zung be­reits für sich ge­nom­men, erst recht aber vor dem Hin­ter­grund eines lang­jäh­ri­gen Miet­ver­hält­nis­ses und eines wirt­schaft­lich nicht er­heb­lich ins Ge­wicht fal­len­den Kün­di­gungs­rück­stands er­heb­lich we­ni­ger schwer wiegt als die Zah­lungs­pflicht­ver­let­zung eines Mie­ters, des­sen Ver­hal­ten von einer schwe­ren Er­kran­kung un­be­ein­flusst ist. Sie schlie­ßt eine Zah­lungs­ver­zugs­kün­di­gung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zwar nicht grund­sätz­lich aus, er­for­dert aber das Hin­zu­tre­ten ge­wich­ti­ger wei­te­rer Um­stän­de zu­las­ten des Mie­ters, um die Er­heb­lich­keit der Pflicht­ver­let­zung zu be­grün­den. Diese lagen auch im vor­lie­gen­den Fall nicht vor.

AG Müns­ter, Ur­teil vom 27.10.2020 - 4 C 3363/19, BeckRS 2020, 43451