NJW: Was erwartet die Besucher in der Pop-up-Ausstellung „Recht – Spielregeln des Alltags“?
Brügmann: Wer unsere Pop-up-Ausstellung besucht, wird alltagsnahe Fälle aus verschiedenen Lebensbereichen sehen. Wir haben unter anderem Fälle aus dem Arbeits-, Familien-, Verkehrs- und Verwaltungsrecht ausgewählt, die sich an realen Gerichtsurteilen orientieren. Diese Fälle sollen zeigen, dass das Recht – auch wenn es unsichtbar ist – im täglichen Leben fast überall ist. Die Ausstellung enthält so viel Text wie nötig und so viele Illustrationen und interaktive Elemente wie möglich: Besuchende können etwa an einem Quiz zu Rechtsfragen teilnehmen und über einen QR-Code Selfie-Videos machen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen mit dem Recht teilen. Einige dieser Videos werden übrigens später Teil der Ausstellung, die während ihrer Laufzeit wachsen wird.
NJW: Welche Ziele verfolgt die Ausstellung, wen sprechen Sie an, und wie entstand die Idee dazu?
Brügmann: Unser Hauptziel: Wir möchten Menschen neugierig auf das Thema Recht machen. Das ist ja auch Aufgabe der Stiftung Forum Recht: Wir informieren und laden Menschen ein, über Recht und Rechtsstaat zu sprechen. Wir machen das mit dieser Ausstellung niedrigschwellig und an verschiedenen Orten. Wir haben für die Ausstellung bewusst nicht Rathäuser und Gerichtsgebäude ausgesucht, sondern wir zeigen sie in Bahnhöfen, Einkaufszentren und Marktplätzen. Damit stellen wir uns den Menschen ein bisschen in den Weg. Unsere Zielgruppen: Jugendliche und junge Erwachsene, die wenig Kontakt mit den Institutionen des Rechts haben. Die Idee hinter dieser ersten eigenen Ausstellung der Stiftung Forum Recht: Wir konzentrieren uns auf Lebenssachverhalte und Alltagerfahrungen vieler Menschen, nicht auf wenige spektakuläre Fälle aus der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts. Denn unser Recht im Rechtsstaat wirkt gerade dort, wo wir unseren Alltag verbringen, privat und bei der Arbeit.
NJW: Welche „Spielregeln“ bzw. Situationen im Alltag werden aufgegriffen?
Brügmann: Wir stellen etwa Sachverhalte aus der Arbeitswelt, der Familie, dem Straßenverkehr dar und auch aus dem Kontakt von Menschen und kleinen Unternehmen mit Behörden. Juristisch gesprochen: Lebenssachverhalte der Massenrechtsgebiete.
NJW: Können Sie uns anhand eines Beispiels erläutern, wie beispielsweise die Friedensfunktion des Rechts erklärt wird?
Brügmann: Wir erzählen einen familienrechtlichen Fall, in dem wir zeigen, welche Bedeutung das Kindeswohl in Sorgerechtsstreitigkeiten hat. Dort erläutern wir auch, dass gute Verfahren helfen, Konflikte nachvollziehbar zu lösen, und dass das Recht das Ziel hat, Lösungen zu produzieren, die alle akzeptieren können. Wir erwähnen auch, dass es neben den Gerichten wichtige weitere Akteurinnen und Akteure im Recht gibt, beispielsweise Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.
NJW: Die Inhalte sollen in wenigen Minuten konsumierbar sein. Ganz schön anspruchsvoll angesichts der doch recht komplexen Materie, oder?
Brügmann: Ja, es ist vor allem für die Juristinnen und Juristen im Team gar nicht einfach gewesen zu verknappen. Wir sind es ja gewohnt, die juristische Komplexität eines scheinbar einfachen Lebenssachverhalts herauszuarbeiten. Da hat sich gezeigt, wie gut es ist, dass wir ein multidisziplinäres Team haben, in dem auch Fachleute aus der Bildungs- und Vermittlungsarbeit und aus der Museumspädagogik arbeiten. Ich denke, es ist uns ganz gut gelungen, die Inhalte in gut verständlicher Sprache und mit vielen Illustrationen zu vermitteln, ohne dass wir unpräzise geworden sind oder Sachverhalte banalisiert haben. Wir wollen mit unseren Angeboten ja auch nicht detailliertes Jurawissen vermitteln, sondern Begegnungen mit dem Thema Recht ermöglichen. Und für die meisten Angebote reichen den Besucherinnen und Besuchern deshalb bereits wenige Minuten.
NJW: Vermittelt werden diese Inhalte unter anderem mithilfe von Info- und Wimmelbildern. Erreicht man damit junge Erwachsene, an die sich die Ausstellung vor allem richtet?
Brügmann: Unsere Erfahrung ist: Visualisierungen sind immer hilfreich, um Neugier zu wecken. Mit den interaktiven Elementen, zu denen auch die schon erwähnten Videos gehören, holen wir junge Menschen in ihrer Lebenswelt ab. Uns ist es gelungen, mit einer relativ kleinen Ausstellung vielfältige Zugänge zum Thema Recht zu schaffen.
NJW: Interessant mit Blick auf die Zielgruppe finden wir das Drehwürfel-Spiel, das Wege zur Konfliktlösung aufzeigen will. Wie gelingt das?
Brügmann: Wir stellen vier fiktive Alltagssituationen dar, zum Beispiel einen Nachbarschaftsstreit. Auf den Drehwürfeln finden sich verschiedene Handlungsmöglichkeiten – von der einvernehmlichen Lösung bis zum Rechtsweg. Dieses Spiel enthält auch einige absurde Lösungsvorschläge – Spiele sollen schließlich auch Spaß machen. Unsere Erfahrung zeigt, dass ein solches Spiel nicht nur vermittelt, dass es in Konflikten häufig nicht die eine richtige Lösung gibt, sondern auch, dass das Leben viele Optionen bereithält und dass das Recht auch bei scheinbar kleinen Konflikten hilft. Vor allem aber regt es zu Diskussionen an. Wenn wir unter den Besuchenden kleine Debatten auslösen, dann haben wir schon viel erreicht.
NJW: Können Sie sich erklären, warum es so schwierig ist, gerade junge Menschen für das Recht zu interessieren?
Brügmann: Ich bin gar nicht sicher, ob es richtig ist, dass junge Menschen sich nicht so sehr für das Recht interessieren. Ich glaube eher und habe das auch schon – etwa in Projekten wie „Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in die Schulen“ oder bei Kinder-Moot-Courts – erlebt, dass das Interesse groß ist; es ist unsere Aufgabe, es zu wecken. Meine Erfahrung ist auch, dass sich junge Menschen aus allen sozialen und geografischen Herkünften sowohl für die großen Fragen von Unrecht und Gerechtigkeit interessieren als auch für Alltagsthemen. Ich sehe aber, dass wir in der Vermittlungsarbeit noch ganz am Anfang stehen, was Methoden angeht. Rechtskunde hat natürlich etwas mit Informationsvermittlung zu tun. Da tun gerade wir Juristinnen und Juristen uns manchmal unnötig schwer.
NJW: Eröffnet wurde die Ausstellung am 1.7. Lässt sich mit Blick auf die Resonanz schon ein erstes Fazit ziehen, und ist ein Hauptbahnhof tatsächlich der richtige Standort für so ein Projekt?
Brügmann: Wir haben die Ausstellung wenige Tage vor der Eröffnung bei unserem Tag der offenen Tür in Karlsruhe für einen Preview aufgebaut. Da war die Resonanz sehr positiv. Zum Ausstellungsort Hauptbahnhof lassen Sie mich eines sagen: Gerade für so eine Ausstellung sind öffentliche, gut frequentierte Orte, für die keine Eintrittskarten gebraucht werden, besonders gut geeignet.
NJW: Wo findet man Ihre Ausstellung in den nächsten Wochen und Monaten außerdem?
Brügmann: Unsere nächsten Stationen bis zum Jahresende sind Heidelberg (5.– 28.8.), Mönchengladbach (30.8.– 14.9.) und Leipzig (16.9.– 12.10.). Die Ausstellung wird außerdem in Pirna, Dortmund und Dresden Halt machen. Und im kommenden Jahr werden wir in weiteren zehn bis 15 Orten deutschlandweit zu sehen sein.
Der Historiker und Jurist Dr. Cord Brügmann war viele Jahre als Rechtsanwalt tätig. Das Jurastudium absolvierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München, den juristischen Vorbereitungsdienst in Berlin. Von 2003 bis 2018 war er beim Deutschen Anwaltverein tätig, seit 2008 als dessen Hauptgeschäftsführer. Er ist Lehrbeauftragter der Humboldt Universität zu Berlin und publiziert regelmäßig zu rechtsgeschichtlichen und rechtspolitischen Themen sowie zur Digitalisierung von Anwaltschaft und Justiz. Seit dem 16.7.2024 ist Brügmann Direktor der Stiftung Forum Recht.
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