Urteilsanalyse
Deckungsanspruch in der D&O-Versicherung für Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 1 GmbHG
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen ist ein gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne von Ziffer 1.1 der AVB für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten. Dies hat der BGH festgehalten.

22. Dez 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 25/2020 vom 10.12.2020

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

GmbHG § 64 Satz 1; AVB ULLA Ziffer 1.1

Sachverhalt

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter die Beklagte aus abgetretenem Recht aus einer D&O-Versicherung in Anspruch. Er nimmt den versicherten ehemaligen Geschäftsführer des Unternehmens, dessen Vermögen er nun verwaltet, nach § 64 Satz 1 GmbHG mit der Begründung in Anspruch. Dieser habe noch nach Insolvenzreife Zahlungen aus dem Vermögen des Unternehmens veranlasst. Der Versicherer ist der Ansicht, ein solcher Anspruch sei nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Auf die vom OLG zugelassene Revision hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück.

Rechtliche Wertung

Eine Auslegung der Klausel Ziffer 1.1 der AVB für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) ergebe, dass es sich bei dem in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten Anspruch entgegen der Auffassung der Beklagten und des OLG um einen vom Versicherungsschutz umfassten gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz handle.

Der für die Auslegung maßgebliche durchschnittliche Versicherungsnehmer bzw. Versicherte werde ausgehend vom Wortlaut der Klausel und dem für ihn erkennbaren Zweck der D&O-Versicherung Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens geleisteten Zahlungen als Schadensersatzanspruch im Sinn der AVB ansehen.

Der Begriff «Schadensersatz» sei in der Rechtssprache nicht eindeutig festgelegt. In der Umgangssprache umschreibe der Ausdruck allgemein den Ausgleich eines erlittenen Nachteils (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2002 – IV ZR 226/01, r+s 2003, 149). Dementsprechend werde der Versicherungsnehmer/Versicherte Versicherungsschutz jedenfalls dann erwarten, wenn der gegen ihn erhoben Anspruch wie hier auf Ausgleich des eingetretenen Schadens im Weg der Wiederherstellung der ursprünglichen Vermögenslage gerichtet sei.

Zwar sei zutreffend, dass § 64 Satz 1 GmbHG bezwecke, die Vermögensmasse im Interesse der Gläubiger zu erhalten, und im Regelfall nicht einen Schaden der Schuldnerin erfasse. Daher werde der Anspruch von der Rechtsprechung nicht als Deliktstatbestand sondern als «Ersatzanspruch eigener Art» eingeordnet (z.B. BGH, Urteil vom 15.03.2011 – II ZR 119/14, NJW 2016, 2660).

Eine solche Differenzierung könne jedoch angesichts der komplexen rechtsdogmatischen Einordnung des Anspruchs selbst von einem geschäftserfahrenen Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung nicht erwartet werden.

Aus Sicht des Versicherungsnehmers/Versicherten hänge der Versicherungsschutz entscheidend davon ab, dass er den Zustand vor Vornahme der pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen habe, unabhängig davon, ob dies der Gesellschaft oder deren Gläubigern zugutekomme. Auch der Klauselwortlaut stelle nicht darauf ab, bei wem der zu ersetzende Schaden eingetreten sei.

Die Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG entspreche auch dem für den Versicherungsnehmer/Versicherten erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrages. Dieser schütze nicht primär die Vermögensinteressen der Versicherungsnehmer (des Unternehmens), sondern die des versicherten Geschäftsführers.

Da bislang keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob die Beklagte den Versicherungsvertrag wirksam angefochten oder der Versicherte seine Pflichten möglicherweise wissentlich verletzt habe, sei die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung hat der BGH auch Entscheidungen mehrerer anderer OLGs widersprochen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2018 – 4 U 93/16, r+s 2018, 534; Urteil vom 26.06.2020 - 4 U 134/18, BeckRS 2020, 16192, Besprechung von Grams, FD-VersR 2020, 431448; OLG Celle, Beschluss vom 01.04.2016 - 8 W 20/16, BeckRS 2016, 125428; OLG München, Hinweisbeschluss vom 04.03.2019 - 25 U 3606/17).

Diese OLG-Rechtsprechung hatte in der Literatur zahlreiche und überwiegend deutliche Kritik erfahren (vgl. nur die zahlreichen Fundstellennachweise bei BeckRS 2018, 16103; Koch, VersR 2020, 1284).

BGH, Urteil vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 (OLG Frankfurt a. M.), BeckRS 2020, 33548