NJW: Die Justizministerkonferenz hat sich kürzlich mit den Rechtsgrundlagen der Medienarbeit in Strafverfahren befasst. Wie beurteilen Sie diese?
Jani: Aus meiner Sicht wäre etwas mehr Klarheit wünschenswert. Die derzeitige Rechtslage lässt viel Interpretationsspielraum. Durch eindeutigere Regelungen könnten Konflikte über den Umfang der Auskunftspflichten im Vorfeld verhindert werden. In Berlin etwa ist die Pressestelle der Strafgerichte zum Verdruss vieler Medienschaffenden während laufender Gerichtsverfahren grundsätzlich eher zurückhaltend. Ich als Sprecherin möchte nicht dazu beitragen, dass Angeklagte in den Medien vorverurteilt und öffentlich an den Pranger gestellt werden. Das widerspricht nicht nur rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern führt immer häufiger auch zu Strafabschlägen. Das kann etwa dazu führen, dass ein sogenannter Kinderschänder statt zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe nur zu fünf Jahren und drei Monaten oder weniger verurteilt wird. Ihre Rolle bei diesen Strafabschlägen machen sich einige Medien leider nicht bewusst.
NJW: Aus der Justiz hört man häufiger Klagen über mangelnde Rechtskenntnisse der Gerichtsreporter und fehlerhafte Berichterstattung. Wie beurteilen Sie das?
Jani: Natürlich gibt es ausgezeichnete Gerichtsreporterinnen und Gerichtsreporter, die sich bestens auskennen und die juristischen Grundlagen beherrschen. Die werden ihrer Rolle gerecht. Immer häufiger beobachte jedoch auch ich, dass die Qualität der Berichterstattung in unserem Bereich abnimmt. Häufig schicken die Redaktionen keine erfahrenen Justizberichterstatter mehr, sondern irgendjemanden, der zufällig gerade verfügbar ist oder gar Praktikanten, die keinerlei Vorkenntnisse mitbringen. Bei allem Verständnis für den wirtschaftlichen Druck der Medien ist das für die Berichterstattung oft misslich. Da muss ich dann in meinen Antworten bei Null anfangen. So flechte ich inzwischen vorsichtshalber in fast jede meiner Antworten den Grundsatz der Unschuldsvermutung mit ein; dabei sollte das zum journalistischen Handwerkszeug gehören. Die Beiträge sind dann oft oberflächlich, im schlimmsten Fall sogar falsch. Das gilt auch für einige Boulevardmedien, denen es nicht um den Inhalt, sondern hauptsächlich um die Schlagzeile geht. Da entsteht dann mitunter ein völlig verzerrtes Bild von der Justiz.
NJW: Was bedeutet das für die Akzeptanz der Justiz?
Jani: Eine solche Berichterstattung führt zu grundlegenden Fehlvorstellungen über die Arbeitsweise der Justiz und ihre Funktion im Rechtsstaat. Ich befürchte, dass sie langfristig auch zu einem Wertewandel führt. Das finde ich zum Teil erschreckend. Neulich musste ich zwei Journalisten erklären, dass es keine Präventivhaft für Angehörige bestimmter „polizeibekannter“ Familien gibt. Die haben argumentiert, dass ein Geldtransporterüberfall hätte verhindert werden können, wenn das Gericht einen der mutmaßlichen Täter zuvor in anderer Sache festgesetzt hätte. Dass diese vorangegangene Sache aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Inhaftierung geboten hatte und die Aussicht auf mögliche weitere Straftaten oder gar ein bestimmter Familienname keine vorsorgliche Inhaftierung rechtfertigt, musste ich erst mühsam vermitteln.
NJW: Journalisten beklagen, dass die Justiz zu wenig Verständnis für ihre Arbeit habe und oft unzureichende Arbeitsbedingungen biete. Zu Recht?
Jani: Ich bin selbst ausgebildete Journalistin, ich kann diese Kritik zum Teil nachvollziehen. Aber wir müssen uns nun mal an bestimmte Rahmenbedingungen halten. So kann ich etwa derzeit nicht mehr Presseplätze zur Verfügung stellen als nach den Corona-Vorschriften erlaubt sind. Auch können wir in diesem Fall keine Videoübertragung in einen Medienraum organisieren, das lässt das Gerichtsverfassungsgesetz nämlich gar nicht zu. Und manchmal müssen wir aus Sicherheitsgründen bestimmte Vorkehrungen treffen, die als Einschränkung empfunden werden können, etwa weil die Zulassungskontrollen dann länger dauern oder Handys abgegeben werden müssen. Aber die Hauptverhandlung geht nunmal vor und folgt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wir versuchen, den Journalistinnen und Journalisten entgegenzukommen, wo es möglich ist.
NJW: Aber es gibt doch sicher immer noch Richterinnen und Richter, die lieber keine Journalisten im Gerichtssaal hätten und die Pressearbeit skeptisch sehen?
Jani: Echte Skeptiker sind selten. Den meisten ist die Bedeutung der Pressearbeit durchaus bewusst. Ansonsten reicht ein kurzer Hinweis auf die Presse- und Rundfunkfreiheit sowie die Rechtsprechung des BVerfG. Aber es kommt auch auf die Umstände an. Wenn Medien etwa aus internen Unterlagen zitieren, die in der Hauptverhandlung noch nicht erörtert wurden, wenn ein Reporter ins Beratungszimmer platzt oder wenn Schöffen an ihrer Privatadresse aufgelauert wird, um sie fürs Fernsehen zu interviewen – das ist alles schon passiert – kann der eine oder andere Kollege schon mal empfindlich reagieren. Zu Recht.
NJW: Litigation-PR soll eine immer größere Rolle spielen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Jani: Bei uns wurde dieses Phänomen erstmals 2016 in dem Verfahren gegen das Model Gina-Lisa L. wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung rund um ein sogenanntes Sex-Tape sehr deutlich. Um sie zu schützen, hatten wir versucht, die Medienöffentlichkeit im Zaum zu halten. Aber es stellte sich heraus, dass die Verteidiger selbst die Presse eingeladen hatten. In den Verhandlungspausen wurden eifrig Interviews gegeben, es wurden gezielt Informationen gestreut, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das war zunächst erfolgreich, es gab Unterstützungskundgebungen, sogar Minister haben sich zum Verfahren geäußert. Der Justiz wurde vorgeworfen, das Opfer zur Täterin gemacht zu haben. Es hat eine Weile gedauert, die Medienvertreter davon zu überzeugen, sich zunächst alle Beweismittel anzusehen und anzuhören sowie die Entscheidung abzuwarten. Wie man das Ergebnis beurteilt, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber ein Urteil zu fällen, das ist Aufgabe der Justiz. Letztlich wurde Gina- Lisa L. dann ja auch rechtskräftig verurteilt.
NJW: Man hört von gelegentlichen Problemen mit Reichsbürgern oder Querdenkern, die sich mit Presseausweisen Zutritt als Medienvertreter zu Hauptverhandlungen verschaffen wollen. Haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht?
Jani: Ja. Zuletzt rund um das Verfahren gegen eine betagte Holocaust-Leugnerin im November 2020.
NJW: Wie kommen diese Personen an Presseausweise?
Jani: Es gibt inzwischen viele Vereine und Verbände, die Presseausweise offenbar auch ohne nähere Prüfung herausgeben. Die kann quasi jeder im Internet bestellen. Ich habe auch schon selbstgebastelte Ausweise gesehen. Außerdem reicht auch ein Tätigkeitsnachweis, wobei die Anforderungen streitig sind. „Journalist“ ist leider keine geschützte Berufsbezeichnung.
NJW: Es soll Fälle gegeben haben, in denen Gerichte nach Abweisung solcher Personen verklagt wurden.
Jani: Bei uns wurde bislang nur mit Klagen gedroht. Und neulich stellte mir ein anonymes Autorenkollektiv in Aussicht, Informationen über mich im Netz zu verbreiten, wenn ich die gewünschten Informationen nicht herausgeben würde. Im vergangenen Jahr musste ich einen selbsternannten Journalisten des Hauses verweisen. Daraufhin hat er mich bei der Polizei angezeigt. Aber die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen mich inzwischen eingestellt. •
Richterin am Amtsgericht Lisa Jani absolvierte eine Redakteursausbildung an der Berliner Journalistenschule. Anschließend arbeitete sie neben dem Jurastudium als freie Mitarbeiterin beim Tagesspiegel und beim ZDF sowie nach dem Ersten Staatsexamen als Pressereferentin der Betreibergesellschaft der Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. 2008 Eintritt in den Berliner Justizdienst als Proberichterin. Von 2012 bis 2014 – nach der Ernennung zur Staatsanwältin – Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Nach anderthalb Jahren als Verkehrsrichterin seit Januar 2016 Sprecherin der Berliner Strafgerichte.