NJW-Editorial
Das Recht muss Antworten geben
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Die Erdgaskrise hat uns im Griff. Doch die Politik drückt sich davor, das Einsparpotenzial bei der Beheizung privater Haushalte durch eine Verordnung zu heben. Ob ein Vermieter eine Temperaturabsenkung einseitig durchsetzen kann, müssen nun Juristen beantworten.

27. Okt 2022

Man weiß jetzt schon, wieviel Gas im Winter zur Verfügung steht. Die Gasmenge wird sich nicht mehr vergrößern, deswegen muss der ­Verbrauch verringert werden. Das geschieht bisher durch die regulierende Wirkung des Preises, und es gilt schon jetzt als sicher (!), dass Betriebe auf Grund der Preissituation ihre Produktion einstellen und Menschen in Arbeitslosigkeit entlassen werden (instruktiv: https://lagedernation.org/podcast/ldn306 ab Minute 1:20:43). Der zweitgrößte Verbraucher von Erdgas sind die privaten Haushalte (30 %); es wird dort ganz überwiegend zur Beheizung genutzt. Durch geringe Temperaturabsenkungen von ein bis zwei Grad könnte eine enorme Menge an Erdgas gespart werden und stünde der Industrie zur Verfügung. Die Politik drückt sich davor, dieses große Einsparpotenzial durch eine entsprechende Verordnung zu heben.

Wie ist es aber nun, wenn ein Vermieter die Temperaturabsenkung einseitig gegenüber seinen Mietern durchsetzen will? Darauf müssen wir Juristen eine Antwort geben. Diese ist nicht einfach und – entgegen mancher vorschneller öffentlicher Stimmen – schon gar nicht eindeutig. Ich möchte vor allem dafür plädieren, offen für neue Gedanken zu sein und diese ernsthaft zu erwägen. Die in Wohnräumen bereitzustellende Temperatur ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Sie wird als Teilaspekt des vertragsgemäßen Gebrauchs bei Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen nach der „Verkehrsanschauung unter Beachtung von Treu und Glauben“ (BGH NJW 2022, 2191) bestimmt und soll bei mindestens 20 Grad liegen (noch in den 1960 er Jahren sollen es 18 Grad gewesen sein). Aber die Verkehrsanschauung bildet sich, anders als die Verkehrssitte, nicht durch tatsächliche Übung, was eine gewisse Dauer impliziert; sie erfordert vielmehr eine nach den Überzeugungen des täglichen Lebens zu treffende Wertung über das nach Abwägung aller Umstände Angemessene (BGH NJW 1987, 2812). Gehört dazu nicht auch, den Gürtel in Zeiten der Not enger zu schnallen und in besseren Zeiten zu lockern, also nach gesundem Menschenverstand zu handeln? Besser dauerhaft ein bis zwei Grad weniger als tagelang gar keine Heizung, weil die Gasversorgung zusammengebrochen ist. Sollte drohender kollektiver Mangel nicht handlungsleitend sein können? Weist der Klima­-Beschluss des BVerfG, der im Kern auch die Wende vom Überfluss zum Mangel betrifft, das Zivilrecht in eine bestimmte Richtung?

Diese Fragen zu stellen, heißt sie zu bejahen, hätte mein Repetitor gesagt. Aber nichts ist einfach. Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass Temperaturabsenkungen Schimmelgefahren erhöhen und für empfindliche Personen eventuell eine Gesundheitsgefahr bedeuten können. Deshalb sind nur moderate Temperaturabsenkungen erlaubt, die Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (EnSikuMaV) weist hier für öffentliche Gebäude den Weg (19 Grad). Was dem sitzenden Beamten (oder Richter) nicht schadet, ist auch dem Mieter zuzumuten.

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Elmar Streyl ist Vorsitzender Richter am Landgericht Krefeld.