NJW: Herzlichen Glückwunsch zur erneuten Wahl zum Präsidenten der BRAK. Die Anwaltschaft beschäftigen derzeit viele Themen, weshalb wir von einer langen Agenda ausgehen. Fangen wir mal mit den Gebühren an: BRAK und DAV machen sich für eine Anpassung noch in dieser Legislaturperiode stark. Wie groß sind die Chancen, dass es mit einer RVG-Reform so schnell klappt?
Wessels: Vielen Dank für die Glückwünsche. In der Tat haben wir viel zu tun. Die BRAK ist sehr optimistisch, dass eine Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung noch in dieser Legislaturperiode erfolgen wird. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann steht bei diesem Thema hinter der Anwaltschaft. Verständlicherweise sind die Länder mit Blick auf mögliche finanzielle Auswirkungen einer Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung auf die Landesjustizhaushalte noch etwas zurückhaltend. Es muss allerdings auch ihnen ein großes Anliegen sein, in einem sozialen Rechtsstaat die anwaltliche Vertretung zu gewährleisten, damit jedermann der Zugang zum Recht offensteht. Die Anwaltschaft braucht dafür eine auskömmliche Vergütung – im Gegensatz zur Justiz, die gerade nicht kostendeckend arbeiten muss.
NJW: Welche Größenordnung ist da realistisch?
Wessels: Nochmal: Es geht bei der Anpassung nicht um eine Gewinnmaximierung, sondern schlicht um die Ermöglichung auskömmlichen Arbeitens. Wir erwarten daher zumindest eine Angleichung an die wirtschaftliche Gesamtentwicklung ab Inkrafttreten der kommenden RVG-Anpassung. Durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – übrigens die erste Veränderung seit 2013 – erfolgte diese Anpassung nicht vollständig, so dass die Anwaltschaft noch immer hinter der Wirtschaft herhinkt. Es wäre daher nicht nur ein Zeichen der Anerkennung der Arbeit der Anwälte in unserem Rechtstaat, wenn hier nachjustiert würde, sondern schlicht ein Stück weit Sicherung des Fortbestands der Anwaltschaft gerade in der Fläche.
NJW: Der Fachkräftemangel trifft auch Kanzleien. Vor allem Rechtsanwaltsfachangestellte werden händeringend gesucht. Wie kann die BRAK da unterstützen?
Wessels: Der Fachkräftemangel ist ein großes Problem, mit dem wir uns im Präsidium und in der Hauptversammlung intensiv befassen. Viele Kammern haben tolle Initiativen auf den Weg gebracht, etwa „ReNo im Norden“. Die BRAK greift das Thema regelmäßig im Podcast (R)echt interessant! auf, um zu zeigen, was den Ausbildungsberuf „ReFA“ und „ReNo“ ausmacht und welch großartigen Chancen er bietet – dazu erhalten wir viel positives Feedback. Über unsere Jobbörse vermitteln wir Ausbildungskanzleien, und wir klären regelmäßig darüber auf, was Auszubildende heute von Ausbilderkanzleien erwarten und was wir tun müssen, um Nachwuchs in diesen Bereichen für uns zu gewinnen. Wir haben auch einen eigenen Internetauftritt zur Bewerbung des Ausbildungsberufs. Alleine bekommen wir das Problem allerdings nicht in den Griff. Wir brauchen die Unterstützung der Anwaltschaft, die attraktive Ausbildungsangebote in Richtung Nachwuchs auf den Weg bringt. Viele Kollegen und Kolleginnen sind hier sehr engagiert und leisten einen Beitrag von unschätzbarem Wert. Davon braucht es aber noch viel mehr! Am drängendsten scheint das Problem in der Tat im Bereich der ReFas, aber auch beim anwaltlichen Nachwuchs gibt es Engpässe. Wir beteiligen uns daher an Initiativen zur Reform der Juristenausbildung oder Kampagnen zur Bewerbung des Anwaltsberufs und stehen in engem Austausch beispielsweise mit iur.reform und der Bundesfachschaft.
NJW: Der Berufsstand wird immer weiblicher, aber im neuen BRAK-Präsidium sitzen vier Männer und zwei Frauen. Wann gibt es dort Parität?
Wessels: Das kann ich nicht vorhersagen, denn das Präsidium wird durch freie und demokratische Wahl von der Hauptversammlung aus ihrer Mitte bestimmt. Ich freue mich sehr darüber, dass erstmals zwei Frauen in das Präsidium gewählt wurden. Somit sind immerhin 33 % des Präsidiums weiblich, was in etwa den Zulassungszahlen bei den Anwältinnen im Jahr 2023 entspricht (36,67 %). Auch bei den Rechtsanwaltskammern hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Inzwischen steht immerhin bei 25 % aller Kammern eine Frau an der Spitze. Und ich bin zuversichtlich, dass sich in den nächsten Jahren noch mehr bewegen wird.
NJW: Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, dass die anwaltliche Verschwiegenheit nicht mehr viel zählt, etwa bei der Geldwäschebekämpfung. Sehen Sie die Kernwerte der Anwaltschaft in Gefahr?
Wessels: Das kann ich leider nicht leugnen. Und aus eben diesem Grunde melden wir uns überall dort zu Wort, wo wir diese Gefahr sehen. Ich denke da nicht nur an Meldepflichten bei der Geldwäschebekämpfung, die in Widerspruch zur Verschwiegenheitspflicht stehen. Nehmen wir nur den Gesetzentwurf zum Wachstumschancengesetz, das Ignorieren der Vertraulichkeit von Verteidigerkorrespondenz durch einige Staatsanwaltschaften und die Tendenz des EU-Gesetzgebers, die Anwaltschaft als Teil der organisierten Kriminalität einzustufen. Das sind unerträgliche Entwicklungen, die wir mit Herzblut bekämpfen.
NJW: Stichwort Fremdbesitzverbot: Warum halten Sie es für die Anwaltschaft für so wichtig?
Wessels: Wir sehen die Gefahr, dass reine Kapitalgeber, die denknotwendigerweise rein ökonomische Interessen verfolgen, Einfluss auf das „Ob“ und „Wie“ der Mandatsführung nehmen. Wenn ich als Nichtanwalt in ein Mandat investiere, dann habe ich doch eine Meinung dazu, ob sich beispielsweise ein Vergleich für mich und meine Investition wirtschaftlich rentiert. Also lenke ich doch meine Investition in die Richtung, in der sie meiner Auffassung nach am meisten für mich abwirft. Und dann gerät man zusehends in einen Bereich, in dem die Wünsche und Interessen des Mandanten hinter wirtschaftliche Rentabilitätserwägungen zurücktreten müssen. Oder eben bestimmte Mandate gar nicht mehr angenommen werden. Ich möchte jetzt keinen bestimmten Berufsstand aufs Korn nehmen, aber wann haben Sie zuletzt eine Zahnarztpraxis besucht, an der berufsfremde Investoren beteiligt waren, und nach einer einfachen Füllung gefragt? Was wir im Gesundheitssektor sehen, darf im Rechtsmarkt nicht passieren, nämlich dass Investoren den Ärzten vorgeben, welche Eingriffe in welcher Zahl vorzunehmen sind, damit die Bilanz stimmt.
NJW: Auch das beA bleibt umstritten. Obwohl es inzwischen stabil läuft, schimpfen viele Anwälte über das Postfach. Plant die BRAK eine Verbesserung bzw. Weiterentwicklung?
Wessels: Dass viele Anwälte über das beA schimpfen, können wir in dieser Verallgemeinerung nicht bestätigen. Gleichwohl gibt es immer noch viel zu tun, um es zu verbessern. Ein dringender Wunsch aus der Anwaltschaft ist die Nutzung des beA auf mobilen Endgeräten. An der Umsetzung arbeiten wir gerade und gehen davon aus, Anfang 2024 eine Beta-Version der mobilen Anwendung veröffentlichen zu können. Auch die Nutzeroberflächen werden weiter optimiert. Das nächste Paket ist beauftragt und wird voraussichtlich im ersten Quartal 2024 bereitgestellt werden. Damit werden wir unter anderem die Adresssuche, den Nachrichtenversand und die Abgabe von Empfangsbekenntnissen entsprechend den Hinweisen unseres Anwenderbeirats und der Nutzerinnen und Nutzer verbessern.
NJW: Sie sitzen als Präsident der BRAK auch der Satzversammlung vor, die sich in Kürze in neuer Zusammensetzung konstituiert. Was steht im Anwaltsparlament auf der Agenda?
Wessels: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich das Anwaltsparlament erneut mit dem Thema der Spezialisierungen neben, oberhalb bzw. unterhalb von Fachanwaltschaften und gegebenenfalls mit Vorschlägen für die Einführung neuer Fachanwaltschaftstitel sowie der Fortbildungspflicht beschäftigen. Als Thema einer der kommenden Sitzungen kommt auch die Prüfung eines etwaigen Änderungsbedarfs der Berufsordnung im Hinblick auf die Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren in Betracht. Inwieweit die verschiedenen Initiativen auf EU- und Bundesebene zur Regulierung von künstlicher Intelligenz die Arbeit der Satzungsversammlung berühren werden, lässt sich zurzeit noch nicht absehen. Auch insofern könnte allerdings Handlungsbedarf entstehen.
Dr. Ulrich Wessels berät seit über 30 Jahren als Fachanwalt und Notar. Seit 1994 gehört er dem Vorstand der RAK Hamm an, von 2012 bis November 2019 als deren Präsident. Von 2015 bis 2018 war er 2. Vizepräsident der BRAK; im September 2018 wurde er zum Präsident gewählt und im Oktober 2023 im Amt bestätigt.
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