NJW-Editorial
Crowdworker im Arbeitsrecht
NJW-Editorial
Lorem Ipsum

Das Arbeits- und Sozialrecht wird gegenwärtig durch moderne Arbeitsformen massiv herausgefordert. Durch die Digitalisierung und die Möglichkeit, „anyplace, anytime“ zu arbeiten, werden die Anknüpfungspunkte für den vom Weisungsrecht hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung geprägten Arbeitnehmerbegriff in § 611a BGB aufgelöst. Zu dieser Entwicklung leistet auch die Plattformökonomie ihren Beitrag.

17. Dez 2020

Dass das Thema wichtig ist, bestätigen die Entscheidung des BAG zur Einordnung von Crowdworkern als Arbeitnehmer (Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, becklink 2018220) und die fast taggleich von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) präsentierten Eckpunkte für „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“. Die Erfurter Richter hatten zu entscheiden, ob durch Online-Plattformen einheitliche Arbeitsaufgaben von Auftraggebern so fragmentiert und an eine Vielzahl von Personen verteilt werden können, dass die Erledigung der Aufgaben als selbstständige Tätigkeit erscheint. Crowdworker sind nach Auffassung des BAG dann Arbeitnehmer, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die Plattform so steuert, dass der Crowdworker seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.

Die Entscheidung ist bedeutsam für die Abgrenzung von Weisung und freier Tätigkeit. Denn die Plattformkonstruktion verstellt nicht ohne Absicht den Blick auf die dahinter liegenden Weisungsstrukturen, die häufig sehr implizit angelegt sind. Die Plattformbetreiber hatten gehofft, unabhängig von der tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit generell als Vermittler von Aufträgen zu erscheinen. Das BAG konnte die Weisungsstruktur indes im entschiedenen Fall noch identifizieren, er ließ sich also noch mit dem bestehenden § 611a BGB lösen. Die Diskussion um eine gesetzliche Regelung hat das Gericht gleichwohl nicht beendet, sondern miteröffnet – vor allem deshalb, weil die Beschäftigten in weniger transparenten Fällen vor erheblichen Beweisproblemen stehen können.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) – vor allem die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft – hat in den letzten Jahren einen umfassenden Dialogprozess mit allen Akteuren der Plattformökonomie durchgeführt, um politischen Handlungsbedarf für einen adäquaten arbeits- und sozialrechtlichen Schutz der dort Tätigen zu ermitteln. Daraus ist ein Paket an wohl abgewogenen Vorschlägen entstanden, die der Arbeitsminister nunmehr auf dem Digitalgipfel präsentiert hat. Sie berücksichtigen sowohl die Chancen, die die Plattformen für die Beschäftigung bieten, als auch die Notwendigkeit, den Crowdworkern sozialen Schutz zu bieten. Das BMAS ist auf der Höhe der Zeit. •

Prof. Dr. Daniel Ulber lehrt Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.